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Mythen und Mufflons – der Kultweg GR 20 auf Korsika

Mythen und Mufflons – der Kultweg GR 20 auf Korsika

Mythen und Mufflons – der Kultweg GR 20 auf Korsika

Allein schon diese Namen! Felsenkessel der Einsamkeit (Cirque de la Solitude) oder Loch des Teufels (Capu Tafunatu)! Der Wanderweg GR20 führt auf alten Hirtenpfaden durch die urige Gebirgslandschaft der französischen Mittelmeerinsel Korsika: Der in den Siebziger Jahren angelegte Weg folgt dem Hauptkamm des Zentralmassivs von Calenzana im Norden bis zum 180 Kilometer entfernten Conza im Südosten der Insel. Da wir keine zwei Wochen Zeit hatten, haben wir uns auf den spektakulären Nordteil beschränkt und eine kleine Kletterei auf die Paglia Orba unternommen; nach acht Tagen sind wir von Vizzavona aus im Zug zurück gefahren – mit einem Abstecher in die Studentenstadt Corte.

Warum KORSIKA

Korsika ist ein Felsen im Meer. Küstentiefland und Strand machen bloß 14 Prozent aus; das Inland ist Gebirge. Und was für eins! 50 Zweitausender ragen über Korsika in den Himmel. Trotz der eindrucksvollen Natur ist Korsika touristisch noch relativ wenig erschlossen. Die Häfen im Süden und Osten sind zwar fest in den Händen der internationalen Schickeria, doch die Berge gehören noch immer den Hirten und Bauern. Viele Korsen hoffen, dass das so bleibt; sie befürchten, dass eine weitere Erschließung durch den Massentourismus die Eigenständigkeit der korsischen Kultur gefährden könnte. An Korsika reizte uns die Verbindung aus anspruchsvollem Wanderweg und Mittelmeerklima; außerdem waren wir gespannt auf das mythenumwobene Gebirge und die politisch-kulturellen Eigenheiten der Region. Wie fast alle Orte auf Korsika hat auch der GR 20 zwei Namen: Für die Franzosen ist der Weg von Calenzana nach Conza der 20. „Sentier de Grande Randonnée“, benannt nach Korsikas Status als 20. französischen Arrondissement. Die Korsen, seit jeher nach Unabhängigkeit strebend, nennen den Weg lieber „Fra li monti“, durch die Berge.

Amphibienkämme, Hexenzähne, Teufelsschlunde – die korsischen BergeWiderstand und Eigensinn – korsische EigenschaftenBadegumpen sind unser Swimmingpool (Bergerie de Ballone)

Was Sie schon immer über KORSIKA wissen wollten…

Wie sind die Korsen so?
Wanderer durchkreuzen nicht nur das Reich der Feuersalamander und Schwarzkiefern, der Mufflons und Wildschweine, sondern eine stark politisierte Region. Viele Korsen sind sehr gastfreundlich und hilfsbereit, doch als Tourist in den Bergen schadet es nicht, sich die Unabhängigkeitsbestrebungen der Korsen vor Augen zu führen – zumal Touristen oft erst einmal für Franzosen gehalten werden. Nicht jedes Zusammentreffen läuft harmonisch ab: Wir haben erlebt, wie unser französischer Taxifahrer von einem korsischen Kollegen schikaniert wurde. Und als ich aus einiger Distanz Reiter auf ihren Pferden fotografieren wollte, haben mir die Männer gedroht und mich beschimpft.
Die Zweisprachigkeit der Insel verweist auf Jahrhunderte lange Autonomiebestrebungen der Korsen. Als die Franzosen 1769 eine Schlacht gegen Korsika gewannen und die Insel annektierten, fanden sie schon ein weit entwickeltes Staatswesen vor. Im Laufe des 20. Jahrhunderts siedelte die französische Regierung gezielt Festland- und Algerienfranzosen auf der Insel an und verbannte die korsische Sprache aus Schulen und Öffentlichkeit. Innerhalb von Jahrzehnten waren die Korsen auf ihrer eigenen Insel in der Minderheit, ihre Identität bedroht.
Umso patriotischer fordern viele der ursprünglichen Korsen bis heute die Unabhängigkeit von Frankreich. Die französische Regierung lehnt dies strikt ab, weil sie um die staatliche Einheit fürchtet. Im Jahr 2000 verhandelte der sozialistische Ministerpräsident Lionel Jospin kurzzeitig mit Vertretern der Unabhängigkeitsbewegung über eine größere Autonomie der Insel. Doch das Vorhaben wurde 2003 von einer knappen Mehrheit der Inselbewohner abgelehnt mit Verweis auf Gewaltakte in Teilen der Unabhängigkeitsbewegung. Diese Hintergründe im Kopf zu haben kann im Umgang mit Korsen auf dem „Fra li monti“ helfen, zumal die Autonomiebestrebungen in den Bergen und in Corte am stärksten sind.

Für wen kommt der GR 20 in Frage?
Dem GR 20 eilt der Ruf voraus, der „schwierigste Wanderweg in Europa“ zu sein. Das liegt nicht nur an atem(be)raubenden Pässen und Kesseln – Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind ein Muss –, sondern auch an der drückenden Hitze des korsischen Sommers. Tagestemperaturen zwischen 30 und 40 Grad sind keine Seltenheit. Mit schwerem Gepäck ist der Weg nur für erfahrene Wanderer zu empfehlen. Die meisten Wanderer beschränken sich daher auf leichtes Gepäck und nutzen die Hütten zum Schlafen, Essen und um Lebensmittel nachzukaufen.
Aus Purismus, Gewohnheit, Geldmangel, Ehrgeiz oder – ja warum eigentlich?! – haben wir auf diese Chance verzichtet und uns für die autonome Variante mit eigenem Zelt und eigener Verpflegung entschieden. Das sportliche Image des Pfads und die gute Wegmarkierung ziehen viele Wanderer an, die sich in den Bergen Wettläufe liefern und an den Hütten mit ihren Zeiten prahlen. Wir fanden diese Trainingscamp-Atmosphäre ziemlich skurril und haben uns erst recht Zeit gelassen: beim Fotografieren surrealer Felsformationen und beim Planschen in Badegumpen. Wer eine leichtere Variante sucht, kann auf einen der Wanderwege ausweichen, die die Insel in West-Ost-Richtung überqueren und dabei den GR 20 kreuzen („Mare e monti“, vom Meer zu den Bergen, und „Mare a mare“, vom Meer zum Meer).

„Kalliste“, die Schöne, nannten die Griechen ihr KorsikaSomeone is watching youFast 10.000 Meter geht es zwischen Calenzana und Conza auf und ab

Worauf sollten wir während der Wanderung achten?
Auch, wer nicht in neun Tagen von Calenzana nach Conza joggt, gerät auf der Strecke gut ins Schwitzen. Daher sollte man schon bei Sonnenaufgang aufbrechen, um der Nachmittagshitze und Gewittern zu entkommen. Die Hüttenwirte können Auskunft über das Wetter geben; alternativ weiß der Wetterdienst Méteo Corse Bescheid (0033.8.92.68.02.20). Auf vielen Etappen gibt es keine einzige Quelle (siehe Reiseführer); an solchen Tagen trinkt jeder morgens so viel er eben kann und läuft mit drei Litern los.
Wildzelten und Feuermachen ist angesichts der Brandgefahr im Regionalpark streng verboten. Auf einigen Etappen besteht Steinschlaggefahr. Zwar gibt es vereinzelte Hilfen (Ketten und Leitern), doch einige Teile sind sehr ausgesetzt und bei Nässe richtig heikel. In der Vergangenheit ist es immer wieder zu Unfällen gekommen. Die reine Gehzeit liegt für Wanderer mit leichtem Gepäck zwischen fünf und neun Stunden täglich.

Welche Gehrichtung?
Wer keine Lust hat im Pulk zu laufen, wählt ganz einfach die seltener begangene Süd-Nord-Richtung – und hat zu alledem auch die Sonne meistens im Rücken. Ursprünglich haben wir diese Variante geplant, mussten uns vor Ort aber spontan für die „traditionelle“ Nord-Süd-Richtung entscheiden. Den Ausschlag gab das Wetter: Es war abzusehen, dass wir nur zu Beginn der Wanderung die stabilen Bedingungen haben würden, die für die schwierigen Etappen bei Calenzana (Cirque de la Solitude) so wichtig sind.

Wie weit reicht die Infrastruktur auf Korsika?
Mit Geldautomaten, Internetcafés oder Geschäften darf man in den korsischen Bergen nicht rechnen; der GR 20 passiert nur einzelne Gehöfte und winzige Siedlungen. Allerdings sind die Hütten relativ gut ausgestattet. Eine Hüttenwirtin ließ sich von einem Hubschrauber regelmäßig große Essenspakete bringen – und manchmal flog sie selbst mit, stadtfein und mit großen Taschen. Einzelne Lebensmittel kann man an den Hütten nachkaufen – und wer genügend Zeit hat, kann mancherorts ins Tal absteigen und in den Dörfern einkaufen (Abertace, 5. Etappe; Calasima, 6. Etappe). Internetcafés (cybercafés) sind auch in den Städten sehr selten und teuer. Entlang des GR 20 gibt es mittlerweile fast durchgehend Handyempfang; allerdings haben die meisten Hütten keinen Strom – gute Akkus sind also ratsam.

Was bieten die Hütten?
In Tagesetappen voneinander entfernt hat die Parkverwaltung (PNRC) einfache Hütten (refuges) eingerichtet, die sie von Ende Mai bis Anfang Oktober bewirtschaftet. Für 11 € pro Nacht, die beim Hüttenwirt (gardien) bar bezahlt werden, gibt es ein Matratzenlager für 25 bis 50 Wanderer (Schlafsack selbst mitbringen!), eine Küche, WC und kalte Duschen. Wer angesichts knapper Schlafplätze lieber unabhängiger sein will, zeltet wie wir an den Hütten, nutzt deren Einrichtungen und zahlt nur 6 €. Für 10 € verleihen die Hütten auch Zweierzelte. Auf der offiziellen Seite steht, man müsse die einzelnen Hütten- und Zeltplätze schon vorab online reservieren. Das wäre ärgerlich, da man wegen des unsteten Wetters schlecht abschätzen kann, wie weit man jeweils kommt. Bei uns hat es jedoch noch ohne Reservierung geklappt – informiert Euch vorab über den aktuellen Stand. Aus Sicherheitsgründen sind die Hütten zwar auch außerhalb der Saison geöffnet, doch auf Einkaufsmöglichkeiten, Trinkwasser, Elektrizität, sanitäre Einrichtungen und den Hüttenwirt müssen Winterwanderer verzichten. Außerdem gibt es einige privat betriebene Unterkünfte (bergeries, gîtes, hôtels) entlang des Weges, die zwar teurer sind, dafür aber komfortabler und meist auch ohne Reservierung zu haben.
Unsere Lieblingshütte war die privat betriebene “Bergerie de Ballone” zwischen Tighjettu und Ciottoli. Dort kann man auf einer Bergterrasse Hunde beim Erklimmen der Felsen beobachten – und Wein aus Plastikschläuchen trinken.

Puh, angekommen. Und wie futtern wir uns all die Pfunde wieder an?
Das ist ein Leichtes auf Korsika. Obelix hat es vor allem das korsische Wildschwein angetan; darüber kann ich als Vegetarierin wenig sagen. Kastanienbier (Pietra) und Sciaccarello-Wein, Brocciu-Frischkäse und Kastaniencreme (Crème de Chataigne) sind gute Belohnungen für die Wanderung – und begehrte Mitbringsel.

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