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Neues vom Bodensee: Quo Vadis Klettersteigsets?

Neues vom Bodensee: Quo Vadis Klettersteigsets?

Sicherheit am Berg ist das immer wiederkehrende Thema auf den Outdoormessen, egal ob es im Winter um Lawinen, Schnee und Eis geht oder im Sommer um die Sicherheit in der Vertikalen beim Klettern oder Klettersteiggehen. So auch in diesem Jahr. Immer wieder im Fokus sind Sicherheitsnormen, die einen gewissen Schutz versprechen. Oft geht es dabei um die Verminderung von Stürzen, Unfällen und damit leider oft einhergehenden schwereren Verletzungen. Auf der Outdoor zu hören war, dass die alte Klettersteigset-Norm überarbeitet würde. Leider konnte zum Zeitpunkt der Messe noch niemand genauer sagen, wann sie tatsächlich kommt. Die Wellen schlugen trotzdem hoch.

Kommt sie oder doch noch nicht – die neue EN-Norm für Klettersteigsets?

Vor zwei Jahren gab es ja eine Reihe von Rückrufen, von denen fast alle Marken betroffen waren. Damit rückten die Klettersteigsets wieder stark in den Fokus, zumal es immer mehr Menschen gibt, die in den Alpen oder Dolomiten auf den Ferratas unterwegs sind. Oft genug erleben wir in den Verkaufsgesprächen, dass gerade Klettersteigneulinge eigentlich kaum eine Vorstellung davon haben, was ein Klettersteigset leisten kann und wo seine Grenzen sind.


Ein Klettersteigset unterliegt auch den Richtlinien für persönliche Schutzausrüstung, die allein dazu dient, einen tödlichen Absturz zu vermeiden. Heißt: Es dient nicht als Steighilfe, wenn man in der Ferrata an seine Grenzen kommt. Reinhard Born hat es vor kurzem in einem Artikel für das Online-Verbraucherportal der Bayerischen Staatsregierung so formuliert: „Ein Klettersteigset ist, wie z.B. der Airbag im Auto, ein Einmalnotfallsystem und darf nach einem Sturz nicht mehr verwendet werden!„. Dem ist nichts hinzuzufügen. Doch erst kürzlich sah mich eine Kundin etwas verwirrt an, als ich ihr erklärte, dass sie im Falle eines weiten Sturzes wohl ein ganz anderes Problem haben würde, als sich darüber zu ärgern, dass der aufgerissene Falldämpfer nicht einfach ausgetauscht werden kann. Und dass ein Klettersteigset beim Sturz in der Senkrechten vor allem einen kompletten Absturz ins Tal verhindern soll, wobei auf Grund der Fallhöhe und Geländestruktur Verletzungen auch schwereren Ausmaßes wahrscheinlich nicht verhindert werden können.

Bis heute ist es noch so, dass Klettersteigsets dynamisch in einem Fallprüfstand mit einem Fallgewicht von 80 kg bei einer Fallhöhe von 5 m geprüft werden. Innerhalb einer Wegstrecke von 1,20 m muss das Fallgewicht gehalten werden, wobei ein Fangstoß von 6 kN (ca. 600 kg) nicht überschritten werden darf. Die Norm besagt auch, dass ein Klettersteigset auch erst ab einer Kraft von 1,2 kN (ca. 120 kg) auslösen darf. Letzteres verhindert, dass beim Ausruhen, beim langsamen Reinsetzen in das Set durch das Eigengewicht des Klettersteiggehers die Bremse ausgelöst und das Band angerissen wird.

Entsprechend der EN 958 sind die Klettersteigsets für Personen mit einem Körpergewicht von 50 bis 100 kg ausgelegt und werden mit einem Bandfalldämpfer (keine Seilbremsen mehr) ausgestattet.

Untersuchungen im DAV-Sicherheitskreis haben 2011 einen weiteren Ansatzpunkt zur Diskussion ergeben: Die Klettersteigsets sind für Personen unter 50 kg nicht geeignet, da die dämpfende Bremsfunktion im Fallen nicht gewährleistet werden kann. Wir haben dazu auch schon im Blog berichtet. Ein erster, nach außen hin sichtbarer Schritt in die Richtung einer neuen Norm war, dass in einer Sitzung des Normgremiums im April 2011 der DAV-Sicherheitskreis durchsetzen konnte, dass der zulässige Bremsweg auf 175 cm verlängert wird. Das galt dann ab 2015 und hatte zur Folge, dass mit dem verlängerten Bremsweg Klettersteigsets mit geringerer Bremskraft konstruiert werden können, die für leichtere Steiggeher gesundheitsschonender sind.

Doch wie schon gesagt: Das konnte nur ein erster Schritt, ein erster Denkansatz sein. Die alte Norm stand weiter zur Diskussion.

So ist vor allem auch die Verunsicherung geblieben, wie wir auch im tapir immer wieder erleben, nicht nur bei Eltern mit Kindern sondern auch bei all denen, die mit Rucksack auf dem Rücken auf über 100 kg kommen und in den Beschreibungen gelesen haben, dass die Klettersteigsets nur bis 100 kg ausgelegt sind. Schwammige Aussagen am Telefon bei den Firmen, dass es da ja auch noch eine Reserve nach oben hin gebe, wirken nicht sehr beruhigend.


Auf der Outdoor war nun bei allen beteiligten Firmen zu hören, dass die neue Prüfnorm Ende 2016/ Anfang 2017 kommen soll, vielleicht aber auch erst zum Frühjahr 2017. Es gäbe wohl noch viele Diskussionen. Hauptproblem bei der Konstruktion der neuen Klettersteigsets ist primär die größere Aufreißlänge des Bandfalldämpfers von maximal 2,20 m. Für den Nutzer heißt es, dass die Sets klobiger und schwerer werden, da ein „one size fits all“ gewünscht ist (also ein Klettersteigset für alle), wie Richard Heinz, verantwortlich für die Entwicklung der Hartware bei Edelrid, in einem Interview vor einem Jahr erklärt hat. Schwerer und größer deshalb, weil viel Material verstaut werden muss.

Wir haben uns die neuen Bandfalldämpfer bei Edelrid, Skylotec und Petzl angesehen. Bis auf Petzl machten sie auf uns einen riesigen Eindruck. Deutlich schwerer und größer stellen sie sicherlich eine Umgewöhnung dar für alle, die schon länger mit der Klettersteigausrüstung unterwegs sind. Die Prototypen der beiden neuen Sets von Petzl hingegen haben uns sofort vom Packmaß  her überzeugt. Klein und handlich, dadurch auch mit einer sehr kurzen Anseilschlaufe ausgestattet – natürlich haben sie nicht verraten, welchen anderen Weg sie gegangen sind, um so einen kleinen Bandfalldämpfer zu konstruieren. 🙂 Und: Dieser Minimalismus wird auch seinen Preis haben. Wie alle anderen durften auch wir uns die Sets näher ansehen, aber nicht fotografieren. Einen anderen Weg verfolgt Edelrid. Sie haben neue Gurte konstruiert, die den Bandfalldämpfer direkt integriert haben. Damit ist der Gurt nur noch für Klettersteige nutzbar – aber es sind schließlich viele in den Bergen unterwegs, die nicht weiter klettern gehen wollen. Ansonsten haben auch sie bei ihren neuen Modellen die größeren Bandfalldämpfer präsentiert.

Salewa und Black Diamond haben ihre laufenden Modelle präsentiert. Bei den Norditalienern geht man davon aus, dass sie in dem Moment, wenn die Norm aktuell und damit ein Weiterverkauf der alten Modelle untersagt wird, ihre Klettersteigsets mit den neuen, dann auch größeren Bandfalldämpfern ausliefern werden. Bei Black Diamond hat die Nachfrage ergeben, dass ihr Relaunch der Sets für 2018 angestrebt wird und auch sie zunächst den Zeitpunkt und die endgültigen Parameter abwarten werden, um dann die neuen Modelle entsprechend vollenden können.

Zusammengefasst kann man die neue Norm wohl so auf den Punkt bringen, wobei Änderungen immer noch bis zum Abschluss und Veröffentlichen der Norm möglich sind:

– Geändert: zwei Sturzprüfungen (dynamische Belastbarkeit), eine mit 40 kg und eine mit 120 kg Fallgewicht, wobei der Fangstoß  3,5 kN (bei 40 kg) und 6 kN (bei 120 kg) nicht übersteigen darf, während die Aufreißlänge des Bandfalldämpfers  maximal 2,20 m betragen darf.
– Neu: Das Set wird zur Prüfung vorher 1h ins Wasser gelegt. Bei 120 kg darf der Fangstoß den Wert von 8 kN und eine Außreißlänge von 2,2 m nicht übersteigen.
– Geändert: Die statische Ansprechkraft eines Bandfalldämpfers vor dem Aufriss muss über 1,3 kN liegen (alte Norm: 1,2 kN).
– Geändert: Nach der Sturzprüfung wird das Set in eine Zugmaschine gespannt. Bei ansteigender Kraft  muss das Set mindestens 12 kN standhalten (alte Norm: 9 kN).
– Neu: Die nichtelastischen Arme eines Klettersteigsets werden wie Bandmaterial (nach EN 565) getestet: In einer Zugprüfmaschine wird das Material mit einer konstanten Geschwindigkeit auseinander gezogen, es muss einer Kraft von 15 kN standhalten.
– Neu: Als Folge der Rückrufaktionen in den vergangenen Jahren werden auch die elastischen Arme getestet, indem ein Teil des Elastikbandes in eine Zyklusmaschine eingespannt (Frequenz ist 0,5 Hz / 30 Belastungen pro Minute) und mit einer Masse von 5 kg be- und entlastet wird. Nach 50.000 Zyklen wird die Restbruchkraft des Musters wie bei den nichtelastischen Armen getestet, wobei mindestens 12 kN erreicht werden müssen.
– Neu: Bei Sets, die eine Rastschlinge haben, muss diese einer ansteigenden Kraft von mindestens 12 kN standhalten.

So weit zu den Neuigkeiten und der Diskussion rings um das Thema Sicherheit auf Klettersteigen. Das, was wir auf der Outdoor gesehen und gehört haben, hat die Vorplanung für die kommende Saison nicht unbedingt einfacher werden lassen. Es heißt, dass die alten Klettersteigsetmodelle noch so lange weiterlaufen, bis die Norm greift; erst dann sollen wohl die neuen Sets auf den Markt gebracht werden. Wir werden an dem Thema dranbleiben und euch auf dem Laufenden halten.

Ein paar Anmerkungen noch zum Schluss für alle, die jetzt losziehen und nicht mit dem Kauf eines Klettersteigsets warten wollen (- wie gesagt: Es gab auf der Messe noch kein Datum, nur ein „Vielleicht“ zu hören, ab wann die neue Norm greifen wird):

Heute ist mit dem Buddy Ferrata von Skylotec ein Kinderklettersteigset auf dem Markt (Skylotec: ab 30 kg Körpergewicht einsetzbar). Edelrid hat im vergangen Jahr das Cable Vario Set auf den Markt gebracht. Ausgestattet mit dem VarioBrake-Bremssystem wird eine stufenlose Einstellung des Bremswiderstandes auf das jeweilige Körpergewicht des Klettersteiggehers zwischen 30 und 80 kg  ermöglicht. Das Klettersteigset Skysafe II von Skylotec ist für ein Benutzergewicht von 30 bis 110 kg ausgelegt. Außerdem gilt: Wird es zu steil und schwierig, sollten Kinder immer zusätzlich von oben gesichert werden.

Und für alle anderen Sets gilt: Wer heute mit seinem Set mit Bandfalldämpfer unterwegs ist, wird bei aller Diskussion zur neuen Norm noch lange viel Spaß auf Tour haben.

Quellen – neben vielen Gesprächen auf der Messe:
Klettersteigset – Klettersteige sicher begehen (27. Juli 2016)
neue Klettersteignorm – neue Klettersteigsets (21. Juli 2016)
Was bringt eine neue Norm bei Klettersteigsets? (17.06.2016)

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