Einzige Alternative: Santa Cruz.
Ohne Kolonien, weit weniger spektakulär, dafür teuer.
Ich stand also in Ventura und kämpfte mit meiner Sparsamkeit. Es war ein erbitterter Kampf und als ich dann gewonnen hatte, begann der nächste: Organisation. Deshalb war ich recht lang in Ventura. Aber es ist die zweitschönste Stadt, in der ich war, also halb so schlimm. Surfkultur. Stundenlang saß ich am Meer und sah den Leuten zu, wie sie unbeschwerten Spaß haben, während ich noch immer mit meiner Angst zu ringen hatte.
Und dann geschah, was ich insgeheim schon in Deutschland zu hoffen begonnen hatte: Ein Surfer fragte mich, ob ich surfen lernen möchte. Oh hell yeah!
Surfen mit Haien?
Anderntags standen wir dann also etwas außerhalb der Stadt, zwängten uns in Neoprenanzüge und er gab mir einen Privatkurs: zuerst Trockenübung an Land, kurze Theorie, ein paar beruhigend gemeinte Worte:
„Hey, I’m 27 now, I surf since I’m 10, and all year round. In all this time I’ve only seen like seven sharks. No worries dude!“ Ich gab mich lässig und noch bevor ich mich eines Besseren besinnen konnte, war mir die Frage rausgerutscht: „What kinda sharks?“ – wie gesagt: lässig. Und weil ich ja auch mein Gesicht wahren wollte, musste ich mir dann einen ausführlichen, begeisterten und eigentlich auch sehr interessanten Vortrag anhören. Vier weiße Haie, zwei Tiger- und ein Hammerhai. Entsprechend mulmig, doch immer noch die Tarnung aufrechterhaltend, watete ich meinem Lehrer folgend in die Fluten, legte mich aufs Brett und begann zu paddeln, fing an tiefer zu atmen, schneller auch, arbeitete mich über Wellenberge, manchmal durch, keuchte. Dann dümpelten wir da draußen, wo die Wellen anfangen und auf einmal hieß es: „Paddel!“
Ich tat wie mir geheißen, gab alles und scheiterte erbärmlich. Es scheint einen guten Grund dafür zu geben, dass diese Surfenden so sehr den athletischen Skulpturen der Griechen ähneln. Das merkte ich beim ersten Versuch die Geschwindigkeit der Welle zu erreichen, beim zweiten, dritten, bis zum achten. Keine Chance nämlich! Dann war ich auch schon kaputt, hatte Salzwasser geschluckt, so dass mir ein bisschen schlecht war und bemerkte, dass ich die Haie völlig vergessen hatte, denn auf einmal waren sie wieder da.
Pausen bewirken Wunder
Unter mir, in den unsichtbaren Tiefen. Ich brauchte eine Pause, Robert war verständig, bestand aber darauf, dass ich noch eine versuche: „See that one? We’re going for white water this time, k? I’m going to push you a bit ….. PADDEL!!“
Und ich gab alles, Pausen ziehen eben an, und auf einmal war ich schnell! Von hinten der Ruf „Now lay back!“
Brechende Welle um mich, ich auf ihr. Wellenreiten. Alle Gedanken weggespült, fortgetragen. Inzwischen kniete ich auf dem Brett, hob meinen Blick und vergaß darüber, dass die Surfer meinen, man müsse stehen. Bis an den Strand ließ ich mich tragen und bald darauf kam Robert angeritten, breit grinsend und doch leicht enttäuscht fragend, was passiert sei. Es tat mir ein bisschen leid, nicht aufgestanden zu sein …
Meine Pause war dann etwas länger als seine, aber als wir wieder draußen trieben, ich mit der Erkenntnis, dass es möglich ist und mit dem Verlangen, dieses Gefühl, das ich vorher erahnen durfte, nochmal, vielleicht richtig zu erleben. Ungeahnte Kräfte mobilisierten sich, genannt Motivation und Adrenalin.
Wieder das Kommando, wieder gab ich alles, doch diesmal war es mehr. Oder die Welle langsamer oder die Position auf dem Brett günstiger … wer weiß? Es geschah jedenfalls, wonach ich mich sehnte, wieder dieses angenehme Gefühl, günstig unter – oder vielmehr vor und auf – dem Einfluss der unermesslichen Kraft des Ozeans zu liegen. Ich lehnte mich selbstständig zurück, hatte nur noch den Wunsch, meinem Lehrer und mir die Freude zu machen und aufzustehen. Wacklig kam ich auf die Füße, was meinen Kopf um ungefähr 140 cm in die Höhe hob, meine Freude machte jedoch keine Anstalten sich aufhalten zu lassen, schoss weiter nach oben, wurde größer und größer, während ich stand. Stand auf einem Surfbrett, in Südkalifornien, getragen von einer rauschenden Welle, wow. Es klappte gleich beim nächsten Versuch nochmal, doch dann wurden meine Arme müde und auch das Aufgebot sämtlicher chemischen Prozesse im Hirn reichte nicht aus. Gleiches Spiel wie zu Anfang, irgendwann die Einsicht, dass es keinen Zweck mehr hat … Ein Stoß, eine letzte Welle erwischen, Ende.
Schnorcheln auf Santa Cruz
Mit einer Fahrradtasche voller Essen, einem Rucksack voll Ausrüstung und einer Mesh-Tasche voll Schnorchelequipment: 7 Tage auf der Insel Santa Cruz, eine Woche, in der ich nur für den Pazifik existierte, früh aufstand, mich in einen coldwater-wetsuit zwängte, eine Weile am Strand einen stillen Kampf focht, endlich meine Angst beiseite schob und in die Fluten watete.
Keine Korallen, aber Anemonen, Seeigel, Kelpwälder und Fische. So viele Fische! Der Anzug, 7 mm dick, hielt mich im 15 bis 17 Grad kalten Wasser etwa eine dreiviertel Stunde so was ähnliches wie warm. Der Preis dafür: Tauchen quasi unmöglich. Also trieb ich verzückt umher, ließ mich verzaubern und einlullen. Es gelang mir meist, die unerwünschten Gedanken zu vermeiden, denn ich war abgelenkt genug. Was für eine Welt! Dann wurde mir kalt, ich begab mich ans Ufer und wartete darauf, dass mir wieder warm wurde, und das Spiel begann von Neuem. Gelegentlich habe ich einen kleinen Spaziergang gemacht, war auch schön, aber sobald mir warm war, saß ich doch wieder am Strand und kämpfte erneut.
Der Kampf mit den Monstern
Ihr müsst wissen: Es gibt sie dort wirklich. Die weißen Haie. Im Hafen von Ventura zum Beispiel hatten sie im Frühjahr 10 Junghaie markiert, die sind „nur“ 2 bis 2,5 m lang, 6 von denen haben bislang die Bucht nicht verlassen. Soviel dazu.
Dennoch schaffte ich es drei bis viermal am Tag ins Wasser, einen Schlechtwettertag ausgenommen, bevor die Sonne um 17 Uhr unterging und die Nacht einläutete. Diese Welt ist einfach zu bezaubernd!
Besonderes Geschenk
An meinem Geburtstag schenkte mir die Welt etwas, wofür ich dankbarer nicht sein könnte:
Ich dümpelte mal wieder da draußen rum, ließ Kälte meine Uhr sein, und dachte sonst nicht an viel, weil es viel zu viel zu sehen gab, um auch nur einem Gedanken etwas länger zu folgen. Den Blick nach unten gerichtet, wo sich Opaleyes, Sardinen, Garibaldis und gelegentlich ein Sheephead tummelten. Und auf einmal schob sich gespenstisch lautlos, wie es nunmal ist, ein dunkler riesiger geschmeidig agiler Körper unter mir hindurch.
Es dauerte nicht lange bis ich begriff: Das ist ein verdammter Seelöwe, der eben keine 2 Meter von mir entfernt war! Mein Herz rutschte mir irgendwohin, auf jeden Fall fand ich es nicht mehr, dafür ratterte mein Hirn auf Hochtouren, ebenso mein Puls. Kurzum: Ich hatte Angst. So richtig, so wie noch nie. Ich brauchte lange, mich zu erholen, meine rasenden Gedanken zu beruhigen, während ich auf den Strand zuhielt, halb brustschwimmend …
Und dann saß ich wieder da und verarbeitete, kämpfte. Langsam wurde mir klar, wie toll ich es eigentlich fand, was da passiert war, und als ich wieder rückwärts in die Wellen stolperte, war ich ähnlich zerrissen. Will meinen: Ich schwamm dorthin, wo ich vorher den Seelöwen getroffen hatte und war doch irgendwie froh, als ich ihn nicht traf. Langsam stellte sich wieder die gedankenlose Entspannung ein, in meinem Anzug sitzend spuckte ich gerade in meine Brille, da taucht 15 m vor mir ein schwarz glänzender Kopf auf, schnaubte laut und tauchte ab, Gesicht zu mir. Ich riss mir die Brille auf die Augen, tauchte auch meinen Kopf so schnell ich konnte unter und suchte – und fand. Keine 3 Meter von mir glitt er wieder vorbei, schien sich kein bisschen um mich zu scheren und verschwand ins tiefe Blau. Ich hatte zuvor am Strand einen verheerenden Sieg errungen und trieb deshalb dort draußen, mein Glück kaum fassen könnend. Seit ich im Tierpark als Kind vor den großen Scheiben stand, war in mir der Wunsch gesät, irgendwann einmal kein Glas … was für ein wunderbarer Start ins neue Lebensjahr!
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