Eindrücke von unterwegs
Starker Rückenwind, untypisch für unsere Reiserichtung zu dieser Jahreszeit, treibt uns mit bis zu 140 km pro Tag gen Osten, immer entlang der Seidenstraße. Jene ist im Grunde ein weit verzweigtes Geflecht verschlungener Handelsrouten, die seit jeher Orient und Okzident verbinden. Schon vor Jahrtausenden wurden Gewürze, Metalle, Drogen, Vieh und Menschen gehandelt; Seide aus China war so begehrt wir Buntglas aus Europa. Mit dem Aufkommen der Handelsschifffahrt verlor der Landweg stetig an Bedeutung, erfährt seit einigen Jahren jedoch, begünstigt durch chinesische Großinvestoren, ein unerwartetes Revival. Zunächst erreichen wir Buchara, eine der schönsten, wenn nicht die schönste Stadt Zentralasiens. Unzählige Moscheen mit ihren türkisblauen Kuppeln, bunte Teppichmärkte und sandfarbene Medressen – Islamschulen – prägen die Altstadt. Die Formen und Farben scheinen aus der Zeit gefallen, es hätte uns nicht gewundert, Marco Polo persönlich zu begegnen. Für uns auch deutlich schöner als das berühmte Samarkand, zweitgrößte Stadt des Landes und in Teilen wie Buchara auch Weltkulturerbe. Heute prägen sowjetische Zweckbauten das Stadtbild, die antiken Bauwerke liegen dazwischen eher verstreut wie Teile eines Puzzles.
Während Daniel die Gemäuer Bucharas bröckelig blitzt, werde ich von einer jungen Studentin angesprochen. Sie schwärmt von ihrer Hochzeit mit 700 Gästen, als das Telefon klingelt. Ihr Ehemann möchte wissen, wo sie sei, sie habe ihn nicht um Erlaubnis gefragt. Ich hake verdutzt nach, ob sie das denn nicht einenge, doch sie lacht: „No, no. Sweet sign of his love!“ Tage später wird mir ein anderer Student die patriarchalische Rolle des usbekischen Mannes bestätigen. Er trüge die Verantwortung für das (finanzielle) Wohl der Familie; seine Gattin bitte ihn stets um Rat und Erlaubnis. „Und wenn du deine Firma wechselst, würdest du deine Frau auch um Rat fragen?“ Er grinst: „Nein, sicher nicht.“ Meine westlichen Ohren möchten hören, dass Frauen unterdrückt würden und dies furchtbar schlecht sei, doch ich warte vergebens. Beide sehen in dieser Tradition einen Ausdruck gegenseitigen Respekts und Verantwortung. Die Eltern arrangieren hier oftmals die Ehen, zumindest müssen sie einverstanden sein. Wenn sich die Ehepartner streiten, suchen auch die Väter nach Lösungen. Scheidungen gibt es äußerst selten, komme was wolle. Der familiäre Zusammenhalt steht im Zentrum, nicht das Individuum. Ich denke an die hohe Scheidungsrate und geringe Geburtenquote in Deutschland und fühle mich plötzlich in der Defensive. Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob der in unseren Werten über alles hoch gehaltene Individualismus tatsächlich die beste Form des Zusammenlebens ist. Auch scheinen diese jungen Leute vor mir nicht auf Sinn- und Rollensuche zu sein. Allerdings treffen wir niemanden, der in seiner arrangierten Ehe unglücklich ist, misshandelt wird und seinem Schicksal nicht entfliehen darf.
Fazit
Der Straßenverkehr Usbekistans kann etwas stressen, die Landschaft ist weniger facettenreich als die Kirgistans oder Tadschikistans und bereits Ende Mai lässt die Backofenhitze keine Gnade walten. Doch allein die wirklich sehenswerten Städte Buchara und Samarkand und die lauen Abende zu Gast bei den entspannt-heiteren usbekischen Familien sind jeden Schweißtropfen wert.
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