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Mit dem Fahrrad durch Kirgistan

Mit dem Fahrrad durch Kirgistan

Von Tadschikistan kommend, beenden wir den Pamir Highway in Osch und fahren wir über den Alabel-Pass durch das Suusamyr-Tal zum Song Kul und weiter zum Issyk Kul. Nach einer Wanderung im Altyn Araschan machen wir einen Abstecher nach Kasachstan und reisen über Korday bei Bischkek erneut nach Kirgistan ein. Dort wandern wir im Ala-Archa-Gebirge. Per Anhalter fahren wir erneut in den Süden des Landes Richtung Pamir und radeln entlang dessen schneebedeckter Riesen auf der spektakulären A371 von Sarytash Richtung China. Die A371 findet erstaunlich wenig Erwähnung in den gängigen Reiseführern und Foren, ist aber ein absolutes Must-See während eines Kirgistan-Trips! Insgesamt legen wir in 30 Fahrtagen etwa 2.000 km und über 20.000 Höhenmeter zurück.

Kirgistans landschaftliche Vielfalt ist ein absoluter Höhepunkt unserer Radreise durch Zentralasien: Sattgrüne Weidehügel mit ihren Viehherden und wilden Reitern, feurig rote Canyons, schweizerische Bergpanoramen, glasklare Seen und sogar ein “Meer“ mittendrin. Zudem sind die Kirgisen super entspannt, immer für einen Schwatz zu haben und vertrauenswürdig, wir können problemlos überall das Zelt aufschlagen. Es lohnt sich auch, dem Rad etwas Entspannung zu gönnen und zu Fuß oder auf dem Pferd die wunderschönen Landschaften zu erkunden.

Räder und Ausrüstung
Die Wahl der Reiseräder hängt von der gewünschten Route ab. Wer die Schotterpisten zum Song Kul fahren möchte, sollte auf stabile Speichen und vor allem ordentliche Bereifung setzen. Wir treffen mehrere Radler, denen selbst die Marathon-Mondial von Schwalbe platzten, vermutlich aufgrund eines zu geringen Reifendrucks. Harte Reifen fahren sich jedoch weniger komfortabel und leiten jeden Rüttler konsequent an Hände und Taschen weiter – unbedingt regelmäßig alle Schrauben kontrollieren, auch die der Radtaschen! Weiche Griffe oder Handschuhe helfen gegen taube Handflächen. Auch die übrige Ausrüstung sollte groben Ansprüche gewachsen sein. Fahrradläden gibt es vor allem in Bischkek, ein paar wenige auch in Osch. Wer sichergehen möchte, sollte unbedingt alle gängigen Verschleißteile und Werkzeuge mitführen – übliche Transportmittel der Kirgisen sind Pferd oder Auto, nur in Bischkek wird Fahrradfahren allmählich populär.
Wir selbst radeln mit dem Modell Terra von Patria mit gemufften Stahlrahmen, 26-Zoll-Rädern mit dicken Speichen und Marathon-Mondial, Tubus-Gepäckträgern und Ortlieb-Taschen. Wir achten auf einen hohen Reifendruck und warten alles regelmäßig – letztlich ohne Probleme.

Straßenbedingungen
Das Wichtigste vorab: So herzlich und entspannt die Kirgisen außerhalb der Autos sind, hinterm Steuer entpuppen sie sich als enorm risikofreudige, halsbrecherische Fahrer und lenken ihr Gefährt ganz so, wie sie reiten: „Rauf auf den Gaul und Feuer!“ Wann immer der Verkehr stark ist, geht man als Radfahrer – ohne Übertreibung – ein echtes Risiko für die eigene Gesundheit ein. Mehrfach sichert ein selbstgebastelter Abstandshalter aus einem Stock und einer Fahne unser Überleben und wir hören von einer anderen Reiseradlerin, die angefahren wurde. Die Straßenbedingungen variieren zwischen gemütlichen Asphalt-Strecken und steilsten Pässen mit Waschbrett-Piste.
Die M41 von Tadschikistan aus ist bis Bischkek asphaltiert, aber vor allem zwischen Osch und Taschkomur jedoch so stark befahren und von Schlaglöchern übersäht, dass wir eine Fahrt per Anhalter empfehlen. Die Strecke ist ab Taschkomur und rund um den Toktogul-See in perfektem Zustand, mit viel auf und ab und im Sommer extrem heiß. Die Fahrt durch das Suusamyr-Tal ist landschaftlich lohnenswert, die Straße allerdings mitunter nur grob geschottert. Richtung Bischkek wartet ein Tunnel, der zwar prinzipiell als Radfahrer befahrbar ist, in dem aber vor einigen Jahren Dutzende Autofahrer an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung erstickten. Wir empfehlen auch hier die Fahrt per Anhalter (problemlos möglich).
Wir entscheiden uns, über Sarybulak von Osten aus den Song Kul zu erreichen. Von der Abzweigung bei Sarybulak über den sehr steilen Pass zum See ist der Weg in teilweise fürchterlichem Zustand: Schotter, Waschbrett und Sand, wir benötigen einen ganzen Tag für 50 km. Doch wir würden diesen Abstecher jederzeit wieder machen. Bei Reiseradlern beliebt ist auch die Alternative über Kazarman, die die verkehrsreichsten Abschnitte erspart, aber bereits bei Trockenheit eine so grobe Zumutung ist, dass die meisten früher oder später per Anhalter weiterfahren. Schlimmer wird es nur bei Regen… Letztlich bleibt hier die Wahl zwischen Pest und Cholera. 🙂
Wer im Hochsommer entlang des Issyk Kul radelt, muss sich auf fürchterlichen,mitunter sehr gefährlichen Verkehr einstellen– es gibt keinen Seitenstreifen, viele Schlaglöcher und Baustellen. Die Straße ist besonders zur Ferienzeit, wenn der See von vielen russischen und kasachischen Touristen bevölkert wird (die auch angetrunken fahren), sehr voll. Manchmal wurden wir von im Gegenverkehr überholenden LKW von der Straße gehupt und könnten diesen Bericht nicht schreiben, wären wir nicht beherzt in den Graben ausgewichen.
Die A371 von Sarytash zur chinesischen Grenze ist gut asphaltiert, kaum befahren und beinhaltet grandiose Aussichten auf die Riesen des Pamirs, die man von der Straße aus förmlich streicheln kann. Auch die anderen Passstraßen gen China sind in sehr gutem Zustand und landschaftlich äußerst reizvoll.
Im Übrigen ist Hitchhiken in Kirgistan nach wie vor üblich, mehrfach bieten uns Autofahrer spontan eine Mitfahrgelegenheit an. Bei längeren Distanzen sind allerdings kleinere Geldbeträge angebracht.
Ein Ärgernis können die allgegenwärtigen Hirtenhunde darstellen (wie überall in Zentralasien), die Radfahrer nicht gewohnt sind und gern deren Verfolgung aufnehmen. Die größte Gefahr ist jedoch nicht gebissen zu werden, sondern vor Schreck vom Rad zu stürzen. Einfach anhalten und die Hand zum angedeuteten (oder realen) Steinwurf heben und der Spuk ist zuverlässig vorüber. Auch ein Spritzer aus der Wasserflasche hilft.

Verpflegung und Übernachtung
Für alle, die von Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan kommen, hält die kirgisische Küche keinerlei Überraschungen bereit. Es gibt Brot, Butter, Salat, Plov (Reis und Fleisch), Lagman (Gulasch mit Nudeln) und gefüllte Teigtaschen: Somsa. Diese sind manchmal so fett, dass der Schafstalg noch eine Stunde später zwischen den Zähnen klebt… Daher stellen wir das Zelt gerne in der Nähe von Bauernhöfen und Jurten auf – dann gibt’s meist frische Milch zu den Haferflocken. Unbedingt nach „Barenja“ fragen – selbstgemachte Beerenmarmelade, auf frischem Brot mit Butter ein echtes Luxus-Frühstück! Vorsicht beim Verzehr von Trockenfrüchten, die meist auf dem Boden getrocknet werden und allerlei Sand enthalten können. Ich muss zum Zahnarzt in Bischkek, nachdem ich auf einen Kiesel gebissen und mir ein Stück Zahn abgebrochen habe. Die Wasserversorgung ist gut, in den Ortschaften gibt es meist zentrale Brunnen, wir filtern dennoch sicherheitshalber. Nationalgetränk ist Kymys, von dem wir nur aus Höflichkeit eine Schale hinunterschlucken: gegorene Stutenmilch, die im wesentlichen wie erbrochenes Bier schmeckt.
Kirgistan ist DAS Land für wildes Zelten! Herrlich weiche Wiesen, meist direkt neben einem Bach, Dorfbewohner bringen Gastgeschenke vorbei und am Issyk Kul und Toktogul-See ist es ein Hochgenuss, nach getaner Radelarbeit ins Wasser zu springen und am Lagerfeuer Sternschnuppen zu zählen. Achtung: Manchmal fluten die Kirgisen abends ihre Wiesen- und Weideflächen, sodass wir das Zelt umstellen müssen, um nicht baden zu gehen. Am besten darauf achten, immer etwas erhöht zu zelten. Im Hochgebirge können Sommergewitter eine Gefahr darstellen.
Wildzelten ist in den allermeisten Fällen sehr sicher, aber es gibt auch Radreisende, denen nachts die am Rad befindlichen (…) Taschen leergeräumt wurden. Ein anderer erwachte gar, als es plötzlich sein Zelt fast zerfetzte: Er hatte sein Fahrrad daran angebunden, dann wurde es von einem berittenen Dieb an einem Seil fortgeschliffen. Aber das sind absolute Ausnahmen!

Leben & Gesellschaft
Die typische Nomadenwohnungen der Kirgisen sind Jurten. Aus Holz und Filz gefertigt, sind sie schnell errichtet, äußerst geräumig und trotzen jedem Wetter. Nur während des kurzen Sommers werden die Almen bewirtschaftet, Tiere gemästet und gemolken, Butter und Sahne hergestellt und Dung zum Heizen getrocknet. Ähnlich wie Kymys fließt auch der Wodka zu allen Uhrzeiten. Allah nimmt’s wohl gelassener im muslimisch geprägten Kirgistan? Männer hofieren kleine Wohlstandsbäuche, Frauen bestimmen mit und Liebende heiraten – anders als etwa in Usbekistan – ohne vorherige Arrangements ihrer Eltern. Erstmals in Zentralasien ertappen wir uns dabei zu vergessen, außerhalb Europas zu reisen. Noch dazu in einer autokratischen Gesellschaft, wo man Polizisten schmiert und Häftlinge foltert.
Die familiären Bindungen sind der zentrale gesellschaftliche Kitt, auch die Älteren hoch geschätzt innerhalb der Familien. „Warum bringt ihr Deutschen eure Eltern in Pflegeheime?“, wirft mir eine junge Kirgisin verständnislos vor. Auch ist es für viele Einheimische kaum vorstellbar, aus eigener Kraft so weit zu reisen. Keiner läuft, jeder besitzt ein Pferd, Moped oder Auto. Entsprechend oft ernten wir ungläubiges Kopfschütteln, vielleicht Bewunderung, in jedem Falle aber Einladungen, Essen und Wasser. Treppen aus verschlissenen LKW-Reifen, ausrangierte Tischdecken nützen als Sichtschutz für das Plumpsklo, zum Blumengießen taugen verbeulte Wasserkocher. Hier in Zentralasien landet nichts einfach im Müll. „Warum werft ihr neue Möbel weg?“, wundert sich dagegen ein 16-Jähriger Kirgise und zeigt mir einen Youtube-Clip vom Sperrmüll in Deutschland. Und so hinterfragen wir hier recht häufig eigene westliche Denkmuster und Verhaltensweisen.

Fazit
Besonders die Hinweise zu den Straßen- und Verkehrsbedingungen mögen abschreckend klingen, und ja, das Radfahren war nicht immer ein Zuckerschlecken. Tatsächlich jedoch reduzieren sich die gefährlichsten Abschnitte auf die Strecken zwischen Osch und Taschkomur, rund um Bischkek und den Issyk Kul – hier besonders zur Ferienzeit im August. Auf diesen Abschnitten lässt es sich entspannt per Anhalter fahren, die übrigen Passagen sind überwiegend sicher und oft in recht gutem Zustand. In jedem Falle entschädigt die oft atemberaubende Landschaft für alle Mühsal: maigrüne Almwiesen soweit das Auge reicht, Reiter, die ihre Yaks und Pferde in wildem Galopp zusammentreiben, rauchende Jurten und im Hintergrund die Gletscher der Hochgebirge. Dieses grandiose Idyll im langsamen Radreisetempo und wild zeltend zu erkunden, wird unvergessen bleiben!

Reisezeit
Ende Mai bis September. Der ideale Reisemonat ist Juni, dann leuchten die Wiesen- und Hügellandschaften im landestypischen, saftigen Grün, die Berge sind noch schneebedeckt und alle Pässe geöffnet. Im Juli und August kämpfen wir sowohl mit über 40 Grad im Schatten in tieferen Lagen als auch Minusgraden und Schneeregen im Hochgebirge. Bereits im September sind die Almen, zum Beispiel am Song Kul, verlassen und die Vegetation eher herbstlich braun.

Anreise
Problemlos über Land von Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und China. Internationale Flughäfen befinden sich in Bischkek und Osh.

Einreise
Visumfrei für einen Aufenthalt von bis zu 60 Tagen! Da wir mehr als zwei Monate im Land verbringen, reisen wir von Bischkek aus über die kasachische Grenze und am gleichen Tag zurück. Der Grenzübergang ist nur ein paar Kilometer von der Hauptstadt entfernt und leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Gesetzlich vorgeschrieben ist wohl eine Übernachtung in Kasachstan – wir spekulieren auf einen Schichtwechsel am Wärterhäuschen und lassen alles Gepäck in Kirgistan zurück. Letztlich können wir den Grenzbeamten überzeugen, uns am gleichen Tag zurückreisen zu lassen, darauf verlassen sollte man sich aber nicht. Vorsicht beim tadschikischen Grenzübergang am Pamir Highway: Hier wurden mehrere Radreisende auf tadschikischer Seite bestohlen, was sehr untypisch für Zentralasien ist. Wertsachen daher niemals unbeaufsichtigt lassen.

Geld
Zuverlässige Geldautomaten gibt es nur in Bischkek und Osh, die meist VISA-, selten jedoch EC-Karten akzeptieren. Wir führen ausreichend Euro- und Dollarscheine zum Tauschen mit, der Umtausch ist problemlos in größeren Städten, aber auch Hotels möglich. Inklusive der wenigen Hostelübernachtungen betrugen die Ausgaben knapp 20 € pro Tag für uns beide zusammen.

Sprache
Kirgisisch, usbekisch und russisch. Die Hauptstädter sprechen manchmal englisch und oft besser russisch als kirgisisch, auf dem Lande verhält es sich umgekehrt. Mit Englisch wird man dort kaum vorankommen, aber die Verständigung klappt auch mit Händen und Füßen problemlos. Wer länger im Land bleibt und tiefer in dessen Lebenswelt eintauchen will, für den lohnen sich die Basics der russischen Sprache allemal.

caravanistan/kyrgyzstan
Unerlässliche Quelle für aktuelle Informationen zu Grenzübergängen und Routen in Zentralasien

freedomhouse
Aktueller, wissenschaftlich fundierter Bericht über die gesellschaftspolitische Lage im Land.

einfache+camping/Rezepte
Die kirgisische Küche ist einseitig und fleischlastig. Besser selbst kochen und für abwechslungsreiche Kost sorgen.

  • Kleidung für extreme Hitze und unangenehme Kälte.
  • Mückenspray, Warnweste auf dem Rad und selbstgebastelter Abstandshalter gegen allzeit gefährliche Überholmanöver.
  • Wer wandern möchte, sollte die Mitnahme ordentlicher Stiefel und eines Rucksacks bedenken, zumindest letzterer lässt sich auch in den größeren Städten für wenig Geld mieten. Wir verstauen unsere Schlafsäcke im Explorer-Packsack von Ortlieb, der sich auch als Rucksack eignet.
  • Wichtig sind ein Wasserfilter (wir empfehlen den Mini-Filter von Sawyer) und Durchfallmittel (Metronidazol) – das Wasser sollte nie, auch nicht aus vermeintlich klaren Gebirgsbächen, ohne vorherige Behandlung getrunken werden. Ziegen und Schafe weiden noch im letzten Winkel der Hochebenen und kontaminieren jedes Gewässer zuverlässig!

Seidenstraße: Durch Zentralasien nach China, Landkarte (1:2.000.000), 2017, Reise Know-How.

Bradley Mayhew et al, Central Asia Multi-Country Guide, Lonely Planet, 2014. Kompakt bestückter Reiseführer mit den wichtigsten Informationen zu den Ländern Zentralasiens. Im Sommer 2018 erscheint die Neuauflage.

Erika Fatland, Sowjetistan: Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan, 2017, Suhrkamp.
Spannende Einstimmung auf die “Stans“.

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