Der Plan war, die Hardangervidda zu besuchen und dort vielleicht eine Zwei-Tages-Wanderung mit Zelt zu machen, zum Sognefjord zu fahren, zum Gletscher Jostedalsbreen und zum Meer.
Die Hardangervidda ist ein riesiges Hochplateau auf rund 1.200 Metern über dem Meeresspiegel und Norwegens größter Nationalpark – außerdem der südlichste Ort, an dem polare Arten vorkommen. Obwohl wir schon genug gefroren hatten, war ich voller Vorfreude auf unsere Wanderung. Als wir am Plateau entlang fuhren, wurde uns jedoch schnell klar, dass wir wieder mal völlig ahnungslos waren. Überall an den Seiten lag Schnee und als wir an einem See anhielten, entdeckten wir Eisschollen auf dem Wasser. Eisschollen! Wir unternahmen vom Rastplatz eine kurze Testwanderung, konnten aber den Weg kaum finden. Sobald wir über die Kante aufs Plateau gestiegen waren, fanden wir uns in einer rauen, kargen und von Schnee teils noch tief bedeckten Landschaft wieder, aus der vereinzelt flechtenbewachsene Felsen ragten. Zum ersten Mal verstand ich, was mit Ehrfurcht wirklich gemeint ist. Es war ergreifend und zugleich latent beängstigend zu wissen, dass wir hier kilometerweit gehen könnten und nicht ein bisschen Zivilisation finden würden; dass wir Wildnis vor uns hatten, in der wir verlorengehen und aus der wir bei Unachtsamkeit nie wieder zurückkommen könnten. Später unternahmen wir von Lofthus aus noch eine Tageswanderung am Plateaurand entlang und sahen einen Fluss, der gemächlich vor sich hin fließend dann plötzlich über den Rand des Plateaus floss und als tosender Wasserfall nach unten stürzte. Ich finde fast keine Worte für die Gewaltigkeit dieser Natur.
Am Hardangerfjord und Richtung Sognefjord merkten wir, dass wir an Reiseführerhighlights angelangt waren. Die Dichte der Wohnmobile stieg ebenso wie die Dichte der Verbotsschilder. Obgleich die Fjorde wunderschön sind, hielten wir uns hier nicht zu lange auf, denn auch das Wetter war nicht auf unserer Seite. Wir fuhren Richtung Jostedalsbreen und stolperten durch Zufall abends an einem mehrstufigen, wunderschönen Wasserfall vorbei, den asiatische Touristenbusse gerade verließen, fuhren auf ein Hochplateau und schliefen quasi im Schnee bei Eiseskälte, aber fernab vom Trubel und in einsamer Landschaft.
Der Jostedalsbreen, Europas größter Gletscher, ist eins meiner liebsten Dinge in Norwegen. Schon als ich vor vielen Jahren mit meinen Eltern zum ersten Mal dort war, hat mich die Faszination für Gletscher gepackt und nicht mehr losgelassen. Es gibt sehr viele verschiedene Wanderungen, um in die Nähe der strahlend hellblauen Gletscherzungen zu gelangen, wobei wir uns für eine einfache und viel begangene entschieden haben, die wir aber, weil wir erst spät (also nach 17 Uhr) ankamen, fast für uns hatten. Leider werden die Zungen immer kleiner und während man wandert, läuft neben einem rauschend das hellblaue Schmelzwasser ins Tal hinab … Bei meinem ersten Besuch haben wir eine Wanderung mit Führer auf das Eis unternommen, etwas, das ich jedem nur empfehlen kann, der so etwas noch nie gemacht hat. Richtig spannend war auch das Gletschermuseum, das zwar klein aussieht, aber randvoll mit Informationen ist. Der kurze Film über den Jostedalsbreen in einem kleinen Kino auf gewölbter Leinwand ist atemberaubend und gibt einem das Gefühl, wirklich auf dem Gletscher gewesen zu sein.
Schließlich fuhren wir ans Meer. Hierbei haben wir einfach den kürzesten Weg vom Gletscher zur Küste gewählt und fanden uns an einem Ort wieder, der den Eindruck machte kurz vor Beginn seiner ganz großen Tourismus-Karriere zu sein, aber gerade noch verfallen und ursprünglich genug war, um einem das Gefühl zu geben, etwas Authentisches gefunden zu haben. Wir schliefen auf einem Campingplatz in den Schären, der jedes Sportspiel dieser Welt für seine Gäste zur kostenlosen Verfügung anbot – was mein Freund zu meinem Leidwesen auch mit mir nutzen wollte. Und wir unternahmen eine Tour mit der Pendlerfähre hinaus auf eine fast unbewohnte Insel, genossen die Seeluft und den Traum, hierher zurückzukommen, um ein Buch zu schreiben, denn keine Kulisse fände ich inspirierender.
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