Pünktlich zur Walpurgisnacht, der Nacht, in der die Hexen um die Feuer tanzen und alles magisch-mystische ein bisschen näher scheint als sonst, kamen wir mit dem Zug in Wernigerode an. Die Sonne schien warm und vielversprechend und die Stadt war voller Menschen, die sich die örtlichen Festivitäten rund um diese besondere Nacht ansehen wollten. Wir hatten vor, tags darauf früh zu starten, weshalb wir uns dem Trubel bald entzogen, noch auf die Burg hinauf und zum Wildgehege spazierten und dann früh schlafen gingen.
Um ein bisschen Weg zu sparen, fuhren wir mit dem Zug nach Ilsenburg und liefen durch schon frühlingshaft begrünten Wald entlang eines Baches Richtung Bad Harzburg. Zunächst entsprach alles genau unseren Erwartungen: ein leichter Waldweg, neben uns das Plätschern des Wassers, die Sonne, die durch die noch lichten Blätter schien, ein Spielplatz und ein paar Infotafeln, die uns Geschichten über Harzer Sagenfiguren erzählten. Aber schon kurze Zeit später verschwanden die Laubbäume links und rechts des Weges und machten leeren, vergrasten Hängen Platz. Mir war schon von früheren Wanderungen im Harz bewusst, dass es einige Kahlstellen gibt, die vor allem im Nationalpark Harz auch als Chancen für neues Leben und die Regeneration der Natur beschrieben werden. Aber das Ausmaß des Waldschadens übertraf dann doch all unsere Vorstellungen. Nicht nur an diesem Tag, auch an den zwei folgenden (das heißt, zwischen Bad Harzburg bis kurz vor Walkenried) waren wir immer wieder und zum Teil den ganzen Tag nicht im Wald sondern auf Äckern unterwegs. Natürlich keine richtigen Äcker. Aber so nannten wir die weiten Grasflächen im Stillen, die im besten Fall noch stehendes Totholz zu bieten hatten, im schlechtesten Fall aber wirklich komplett „abgeerntet“ und kahl vor uns lagen.
Das stehende Totholz hat einen gewissen morbiden Charme. Die langen, in Reihe stehenden Stämme, grau und nadellos, scheinen geradezu davor zu warnen, erneut den Fehler zu machen, hier ortsfremde Monokulturen anzupflanzen. Denn Fichten wachsen natürlicherweise nicht in diesen Tiefenlagen und sind der Trockenheit und Hitze der Sommer, vor allem seit 2018, nicht gewachsen. Dazu kommt der Borkenkäfer und vernichtet den Wald in einer Geschwindigkeit, die einem den Atem raubt. Wir hatten uns im Vorfeld auf einem Blog über den Kaiserweg informiert, der beschreibt, dass der Weg die meiste Zeit durch dunkle, mystische Fichtenwälder verlaufen würde, man schön im Kühlen wäre, umgeben von dieser Märchenstimmung, die nur Nadelwälder erzeugen können. Der Artikel stammte von 2018. Von dieser Stimmung ist so gut wie nichts mehr übrig. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf wurde unsere Wanderung durch diese Landschaft teils sehr bedrückend. Irgendwann nahmen wir es mit Galgenhumor und fanden es schließlich so absurd witzig, als wir an einer Kahlschlagfläche vorbei kamen, die gerade erst beräumt wurde, und an uns donnernd der Holzlaster vorbeifuhr, beladen mit einem Teil der bis zum Horizont reichenden Holzstapel. Aber, und das muss ich hier unbedingt hinterher schieben: Es ist wirklich eine Chance. Eine Chance dafür, endlich einen Wald anzulegen, der vielfältig und ertragreich ist und in der Lage, dem Klimawandel standzuhalten – etwas, das nur ein funktionierendes Ökosystem schaffen kann. Wir haben uns vorgenommen, den Wald in regelmäßigen Abständen wieder zu besuchen, denn wie oft hat man die Möglichkeit, ihm bei der Entstehung zuzusehen?
Ab kurz vor Walkenried wurde der Wald dann übrigens auch wieder existent und sehr schön: Der letzte Tag war so ein Kontrast zur Strecke davor, dass wir die Landschaft noch viel besonderer fanden, als wenn wir tagelang nur solche gesehen hätten. Manchmal ist es wahrscheinlich wichtig zu sehen, was passieren kann, um das vermeintlich Normale zu schätzen.
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