„Slum“-Tour in Mumbai
Wir landen in Mumbai, ich erwarte einen Highway vom Flughafen zur Innenstadt oder wenigstens Schilder – vergeblich. Die nächtliche Fahrt gerät zur Odyssee über holprige Pisten, vorbei an Slums; nach endlosen Runden finden wir schließlich die richtige Adresse, wo uns Freunde herzlich empfangen.
Geführt von einem NGO-Mitarbeiter besuchen wir Dharavi, einen der größten Slums Asiens. Hier leben ca. eine Million Menschen auf knapp zwei Quadratkilometern – nur Legehennen haben weniger Platz. Die Grenzen zum „normalen“ Stadtgebiet Mumbais verlaufen fließend, die Gassen werden enger, die Häuser niedriger, die Luft stickiger. Ich bin geschockt ob der Lebensbedingungen, auch mein Partner wird ganz still. Der allgegenwärtige Müll lockt Hunde, Krähen und Ratten an, dazwischen Kühe, Ziegen, Menschen. Überall der Geruch von Verwesung, je nach Windrichtung unterschiedlich gefärbt, wir kämpfen gegen unseren Brechreiz. Abwasser mäandriert zwischen Wellblechhütten, vermischt sich mit Fäkalien jedweder Spezies, um schließlich müllbeladen ins Meer zu fließen. In einem Recyclinghof kochen Jugendliche Aluminiumschrott, der Rauch treibt uns Tränen in die Augen, der Guide mahnt zur schnellen Passage. Einige Jungs schweißen ungeschützt selbstentworfene Häcksler für Plastikmüll, manche sind schon erblindet. Dazwischen spielen Kinder Cricket. Wir passieren eine Gerberei, Ziegen knabbern an den siffenden Fellen ihrer toten Artgenossen – ich versuche, durch die Ohren ein- und durch die Nase auszuatmen.
Überraschend wird klar: Indische Slums sind kein Obdach bettelnder Almosenempfänger – wer hier lebt, fährt Tuk Tuk oder putzt, arbeitet im Straßenbau oder als Polizist, manch einer pendelt gar täglich aus den Vorstädten. Dharavi ist eine „Stadt in der Stadt“, mit Frisör und Fitness-Studio, Bäcker und Barbier, sogar medizinischer Versorgung und rudimentärer Rechtsordnung. Nur Pizza Hut liefert nicht mehr, um das 30-Minuten-Versprechen halten zu können. Der Slum ist ein riesiger Recyclinghof mit einem geschätzten Jahresumsatz von 650 Mio. Euro und zieht somit zahllose Glückssuchende an. Ein Ergebnis der Landflucht – allein Mumbai schluckt täglich ein- bis zweitausend Neuankömmlinge.
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