Dein Abenteuer beginnt hier!
Christina Felschen
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17. August 2011
Im Kajak über die Ostsee – die Idee klingt verrückter als sie ist, denn zwischen Stockholm und Turku (Åbo) liegen Tausende Inseln, die Kleinsten gerade gut für einen Vogel, die Größte immerhin für 28.000 Menschen. Durch dieses fantastische Labyrinth sind wir im Faltkajak von Mariehamn auf Åland zur finnischen Hafenstadt Turku gepaddelt. Für die 200 Kilometer haben wir zehn Tage gebraucht, doch zusätzliche Puffertage sind wichtig, um Stürme oder Gewitter auf den Inseln aussitzen zu können.
Den Schärengarten kennen wir von regelmäßigen Fährfahrten zwischen Stockholm und Turku. In den Nächten an Deck dieser schwimmenden Rentnerclubs wuchs unsere Faszination für die Schären. Wir beobachteten stundenlang, wie die Sommerhütten langsam weniger wurden, während die Sonne im Norden unter dem Horizont eintauchte. Wenn die Morgensonne uns ins Gesicht schien, fingen auch die Hütten wieder an, dieses Mal auf finnischer Seite. Doch das eigentliche wilde Archipel hatte die Nacht verschluckt. Keine Frage, zumindest einmal müssten wir dem Duty-Free-Gefängnis entkommen und uns diesen Sommernachtstraum bei Tageslicht beschauen.
Woher bekommen wir ein Kajak?
Im Schärenmeer sind Kajakfahrer noch richtige Pioniere: Segel – und Schnellboote sind zuhauf unterwegs, doch andere Kajaks haben wir nicht gesehen. Einmal raste ein großes Schnellboot in bedrohlichem Tempo auf uns zu – drinnen saßen ein paar junge Polizisten, die unser merkwürdiges Gefährt mal aus der Nähe sehen wollten. Trotz dieser Exotik: Es gibt einige Kajakverleihs, etwa auf Kumlinge und in Nagu. Dann hat man aber das Problem eines schwierigen oder teuren Rücktransports zum Verleih, sofern man keine Rundtour plant. Längerfristig lohnt sich jedoch ein eigenes seetüchtiges Faltkajak auch, weil die Leihgebühren recht happig sind (rund 200 Euro pro Woche für ein Zweierkajak).
Wir haben uns als Gelegenheitspaddler für ein Kajak des polnischen Herstellers Wayland entschieden, das sich als durchaus tauglich erwiesen hat. Es hat zwar ein paar kleinere Macken, ist aber auch wesentlich billiger als ein High-End-Modell. Für ein Seekajak ist es relativ breit; somit ist es ziemlich langsam und schwerfällig, liegt aber sehr stabil im Wasser. Die Anreise mit Kajak und Gepäck auf dem Rücken ist auch zu Zweit eine ziemliche Plackerei, das Kajak wiegt etwa 40 Kilogramm und dazu kommen Zelt und Zeugs. Aber wer die Fußwege kurz hält und notfalls einen kleinen Kajakwagen einsetzt, sollte damit klarkommen.
Wie orientieren wir uns auf der Tour?
„Pi mal Daumen“ und „immer gen Osten“ funktioniert hier nicht besonders gut, denn der Schärengarten ist ein wahres Labyrinth; wer nicht aufpasst, dem stellt sich einfach eine große Insel in den Weg oder der riskiert unnötig lange ausgesetzte Strecken. Wir haben eine Fahrradkarte für die Übersicht benutzt und selbst gemachte Seekarten für die genaue Routenverfolgung. Die genauen Karten haben den Vorteil, dass Charakteristika von Ufern wiederzuerkennen sind; ansonsten verliert man auf dem Wasser schnell seinen eigenen Standpunkt aus den Augen, weil es keine hochragenden „Landmarks“ gibt und die Distanz der flachen Inseln nur schwer einzuschätzen ist. Ein Kompass und ein einfaches GPS-Gerät haben uns daher mehrmals gute Dienste erwiesen.
Wo können wir schlafen, essen, telefonieren…?
Die Inseln bieten Schutz vor Wind und Wellen und, was noch wichtiger ist, eine unendliche Auswahl an Zeltplätzen und Badebuchten – schließlich gilt das Jedermannsrecht auch in Finnland („Jokamiehenoikeus“/ schwedisch: „Allemansrätten“). Allerdings sind die Inselfelsen oft sehr zerklüftet und gerade zu Beginn und am Ende der Tour stehen auf vielen Inseln Ferienhäuser; auf längere Suchaktionen sollte man sich einstellen. Vor allem auf dem ersten Teil der Tour (Åland und westliches Åboland) sind die Inseln felsig und nur spärlich bewachsen – keine Chance für Zeltheringe. Gegen Stürme helfen hier Steine, die in Taschen gepackt werden, an denen man die Zeltleinen festspannen kann.
Obwohl Åland in den letzten Jahrzehnten zum Ferien – und Segelparadies wohlhabender Finnen und Schweden geworden ist, hat sich das autonome Inselreich seine stolze Seefahrerseele bewahrt. Mit Subventionen des finnischen Staates wird hier draußen eine Infrastruktur aufrecht erhalten, von der auch der Reisende profitiert: Das Handynetz reißt nie ab, die meisten Dörfer haben kleine, bezahlbare Supermärkte (auf der Karte eingetragen) und wer auf der Strecke liegen bleibt, kann Turku auch mit den vielen kleine Fähren erreichen, die das Leben zwischen den Inseln organisieren.
Ist das nicht gefährlich?
Vorab: Das Gefährlichste auf dieser Tour sind sicher nicht die Wassermassen, sondern ein winziges Landwesen: Die im Archipel beheimatete Zecke kann Borreliose und Enzephalitis übertragen. Sie sitzt in hohem Gras und läuft an der Kleidung hoch, bis sie eine Stelle zum Zubeißen findet. Socken, lange Ärmel und Zeckenschutzmittel sind auf den Inseln sehr wichtig, ebenso ein täglicher Check.
Selbst im Sommer sollte man bei einer so ausgesetzten Tour einen Neoprenanzug tragen – für den Fall, dass man doch mal unfreiwillig längere Zeit im Wasser verbringen muss. Rettungswesten sollten selbstverständlich sein. An den Händen schützen einfache Bauarbeiterhandschuhe vor Kälte, Blasen und Entzündungen. Wer an Händen und Füßen schnell friert, sollte Neoprenhandschuhe und eventuell -füßlinge tragen. Das Wetter auf See verändert sich schnell; wir haben daher täglich bei Freunden angerufen, um Windstärke und -richtung sowie das Gewitterrisiko zu erfragen. Handyempfang gibt es überall und der finnische Wetterdienst ist zuverlässig.
Winde und Wellen, die von der Fähre aus so zahm erscheinen, können in Augenhöhe mit dem Meeresspiegel durchaus einschüchternd wirken. Ein bisschen Erfahrung mit dem Kajak auf dem Meer sollte man schon haben, ehe man sich zu dieser Tour aufmacht. Längere Querungen unter keinen Umständen bei starkem Wind oder Gewitter beginnen.
Und sonst so? Was gibt es außer Inseln noch zu sehen?
Das Leben in den Schären hat sich in den letzten Jahrzehnten rapide gewandelt: Fähren haben die Postschiffe ersetzt, Sommerhäuser die Fischerdörfer und Festivals das alljährliche Heringfischertreffen. Doch einige Dörfer haben finnlandschwedische Traditionen erhalten, vor allem im Mittelteil der Tour (Kumlinge, Sottunga, Lappo!). Vorher nach Veranstaltungen Ausschau zu halten lohnt sich: Gerade im Sommer gibt es in den Schären unzählige Musikfestivals und Volksfeste, von Rauma Rock bis hin zu den Potatisdagar zu Ehren der Kartoffel. In Lappo gibt es eines von mehreren Schärenmuseen im Archipel. Die Texte sind alle auf Finnisch und ausgestellt werden fast nur historische Fischerboote, aber den Betreibern ist mehr zu entlocken – es lohnt sich! Urbanen Charme gibt es nebenan in Kajsas Café. Ein anderes, sehr sehenswertes Schärenmuseum befindet sich in Mariehamn.
Doch die wahren Attraktionen kündigen sich nicht an und sind auf keiner Karte verzeichnet: die Spiegelwelt, in die sich die flache Landschaft abends verwandelt, Platzregen und Wolkengebirge, Scheinattacken fliegende Seeschwalben, räuberische Seeadler, ängstliche Schlangen – und mit sehr viel Glück auch Seerobben und Mumins.
P.S.
Die Fortsetzung dieses Reiseberichts steht auf einer Wodkaflasche, die jetzt als Flaschenpost auf der Ostsee treibt – falls Ihr sie findet, meldet Euch 😉
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3 Kommentare
Mailin | 10.Apr.2017, 11:57
Wir waren dieses Jahr auch in Finnland mit unseren Kajaks. Das ist schon was anderes als in Deutschland - die Weite ist einfach nur beeindruckend. Liebe Grüße aus Köln
Barkas | 12.Sep.2011, 20:30
Super Aktion, das! Wenn mein(e) Kind(er) aus dem Gröbsten draussen sind muss ich das auch machen...
Sven | 18.Aug.2011, 15:02
Tolle Idee und klasse Bericht! Eine Tour nach meinem Geschmack :) Dazu informative Fakten und ein sprachlicher Genuss. M.M.n. einer der besten Berichte in der Sammlung hier.