Dein Abenteuer beginnt hier!
Esther
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15. Juni 2015
Im Herbst 2014 bejahten wir die Frage Nummer Eins ohne Zögern: Soll es im Winter wieder irgendwohin gehen, um ein Zelt im Schnee aufzubauen und unter Waschküchenhänden im VBL (Vapour Barrier Liner) zu leiden?
Ja! Denn die Schmerzen der letzten Wintertouren waren längst vergessen. Ungeklärt blieb jedoch vorerst, wo genau wir hin möchten. Klar nur eines: Wir nehmen Schneeschuhe; Touren-Ski und Pulka fallen diesmal wegen Knieschäden aus. Als Ziel wurde zudem das schwedische Fjäll (lange und teure Anreise) und das Riesengebirge (wir kennen jeden Fleck und schneesicher ist es auch nicht) ausgeschlossen.
Also Slowakei: Echte Berge. Erreichbar. Preislich machbar. Mit dem klaren Planungsvorteil, dass wir die Slowakei aus Freiwilligendienst und Studienaufenthalten sehr gut kennen. Die Eurospezials waren Ende Januar dann auch schnell gebucht, unser Mitstreiter Trupp zwischenzeitlich von Vier auf Zwei geschrumpft, und alle weiteren Touren-Überlegungen bis auf Packen von Essen und Ausrüstung auf die Zugfahrt vertagt.
Wir überraschten uns selbst damit, bei der Material-Planung schnelle Entscheidungen zu treffen: Essen knapp und nur für rund fünf Tage einpacken, viel Butter, noch mehr Nüsse, Soja, Schoki, Milchpulver, Flachmänner, Hirse, Haferflocken, … Und Benzin natürlich. Wie viel wovon gebraucht wird und was sich unterwegs nachkaufen lässt, ist vorab meist ungewiss. Es lohnt die Mühe nicht, sich akribisch den Kopf darüber zu zerbrechen, meinten wir dieses mal.
Die Erfahrungswerte der letzten Jahre wurden als Grundlage angesetzt und unsere Planung so nicht wie sonst schon beim Einkauf (So wenig für mindestens fünf Tage? Wir werden verhungern!), sondern erst beim Packen infrage gestellt:
Flo hatte ein großes Zelt im tapir und dazu noch zwei Paar Steigeisen ausgeborgt, 3 Liter Waschbenzin besorgt und noch schnell über Nacht mehr als 1 Kilo geniale Power-Riegel aus Tahin, Honig, Nüssen und Trockenfrüchten selbst produziert (lecker!!!) und wusste, dass er all seinen Kram nicht mal bis zum Bahnhof bekommt.
Es zeichnete sich das Dilemma jeder unserer Wintertouren und der klare Vorteil einer Pulka ab: All die Sachen waren schlichtweg nicht sinnvoll in den Rucksäcken unterzubringen und vor allem eines: so ziemlich untragbar. Letztendlich haben wir wieder einmal alles verstaut bekommen und starteten entgegen unserem fest vorgenommenem Vorhaben mit um die 30 Kilo je Rucksack. Absolut grenzwertig, doch haben wir davon so gut wie alles genutzt.
Wir fahren also Anfang Februar 2015 mit dem Zug nach Bratislava, wo wir in der Umsteigezeit Wanderkarten und Soja-Geschnetzeltes shoppen (nicht zu empfehlen, erwies sich als langwieriger, als gedacht). Weiter geht es es nach Považská Bystrica, hier übernachten wir bei Freunden. Der Zug hat offenes WLAN und da die Lawinenwarnstufen immer noch bei Stufe 3 liegen und die meisten Gebirge sowieso zu klein für sieben Tage sind, entscheiden wir uns, im niedrigen Teil des Nationalparks Malá Fatra (Lúčanská Fatra) unsere Wanderung zu beginnen, um zum Ende der Tour den spektakuläreren Kammteil (Krivánska Fatra) zu laufen.
Fehler Nummer Eins, wie sich später zeigen wird…
Die Zugverbindung nach Rajec erscheint uns die attraktivste und so starten wir von dort aus am nächsten Mittag in die Berge. Sonne, und alles nach Plan soweit. Der Rucksack bereitet sogleich erste Druckstellen. Nach nur zwei Stunden durchs hügelige Vorland ist nicht mehr gespurt. Wir freuen uns über soviel unangetasteten Schnee, ziehen die Schneeschuhe an, bewegen unseren Körper viel aktiver und prompt hört auch der Rucksack auf zu schmerzen. Dafür machen sich die Muskeln bemerkt und langsam dämmert uns, was uns die nächsten Tage erwartet: Neuschnee, und zwar zu viel Neuschnee. Wir stapfen noch eine Stunde am Bach entlang in die Berge hoch, sehen ein, dass der Kamm, obwohl nicht weit entfernt, unter diesen Bedingungen für heute unerreichbar bleibt und bauen unser Zelt auf.
Alles in allem haben wir Routine: Wir müssen nicht schippen, zum Schlafen ist es ausreichend plan. Mit den Schneeschuhen wird der Zeltplatz und der Gang zum Morgen-Klo festgestampft – nur in Schuhen gehend droht sonst überall Versenkung – und schon bald steht das Zelt abgespannt mit ein paar Schneeheringen, Skistöcken und Schneeschuhen. Wir machen Ordnung in den Bergen von Essen und Klamotten: Tagesessenstüte, erweiterte Essenstüte, Nachfülltüte, Abendbrottüte usw. Bei Minusgraden hat keiner Lust, zu suchen, soviel haben wir uns von unseren letzten Touren gemerkt.
Die Temperatur liegt bei irgendwas um die Minus 5 Grad – optimal also. Bald ist gekocht und wir schlafen zufrieden im Mondschein ein. Vorher noch werden die Schuhe gebürstet. In Plastiktüten verpackt, verbringen sie die Nacht in unseren Kniekehlen zwischen VBL und Schlafsack. Die Wasserflaschen sind bereits in den selbstgenähten Isoliertüten verstaut. Wir haben dazu gelernt und lagern sie mit der Öffnung nach oben.
Der Wecker klingelt – wie ab jetzt den Rest der Woche – um 5:55 Uhr. Noch ist dunkel, doch schon bald dämmert es. Der Bach gibt Wasser, Schneeschmelzen entfällt, und mit Morgen-Kaffee und Porridge versorgt, machen wir uns ans Packen. Wir packen Essen und Klamotten ein und unsere Füße in Gefriertüten, damit die Schuhe durch den Schweiß nicht nass werden (VBL-Socken hat sich bis heute noch keiner von uns zugelegt, lieber schimpfen wir jeden Tag über die Löcher in den Tüten…).
All das dauert, wie gehabt, weit länger als eine Stunde, obwohl wir uns sehr erprobt vorkommen. Zum Schluss bürsten wir unser Zelt von der Eisschicht frei, da die Eisschicht sonst beim Einpacken bricht und die Eisspitzen Mini-Löcher in der Zeltplane verursachen. Diesmal ohne, so der Plan. Wir haben bereits vor dem eigentlichen Start wieder ordentlich Hunger und sind auch schon leicht platt. Es gibt Flo seine grandiosen, selbstgemachten Riegel zur Stärkung und los geht es.
Schon bald kommt uns jeder Schritt so vor, als wäre das Maximalgewicht auf der Legpress eingestellt. Die Muskeln brennen, der Puls geht dauerhaft in übler Höhe und irgendwie gelangen wir irgendwann zäh auf den Kamm. Wir brauchen für die Strecke dreimal so lang wie angesetzt, uns ist flau. Doch die Suppe hilft und die Sonne beschert die beste Pause unserer Reise. POHODA (absolute innere Zufriedenheit), wie der Mitteleuropäer weiß.
Wir suchen und finden eine Quelle, die uns weiteres Schneeschmelzen erspart, und stehen schon bald am Hang eines Höllenhügels. Ich schaffe den Vorstieg nicht, bekomme kaum meine Schneeschuhe aus dem Schnee und verwünsche meine gefühlt sehr kurzen Beine. Es dauert ewig, bis wir uns hoch auf den ordentlich steilen Berg geschunden haben. Dort überzeugt die Aussicht, die der Hnilická Kýčera bietet. Wow! Wir steigen noch ein wenig ab, immer den Kamm entlang und nach rund fünf Tageskilometern und sieben Stunden Anstrengung sind wir am Ende unserer Kräfte. Deprimierend, wie wir nicht vorankommen. Es dämmert bereits und wir bauen das Zelt auf. Wir zelten nicht zum letzten mal direkt auf „rot“, es ist sowieso keiner hier außer uns. Kurze Aufruhr noch, denn wir brechen eine der Zeltstangen. Gut, das wir Gaffa und Ersatzhülse dabei haben. Das Gaffa klebt trotz Minusgrade. Wir sind beruhigt.
Den nächsten Tag wird es nicht besser. Nachdem üblichen Prozedere schaffen wir den Start um halb 10 und laufen den Kamm immer ein bisschen hoch und runter und sehen vor allem eines: Buchen. Und Schnee. Dann müssen wir vom Kamm in einen Pass absteigen und finden erstmalig unseren Weg nicht. Wir suchen und suchen, geben nach einer Stunde auf und steigen schließlich dem Kompass nach ins Tal ab, ständig fällt Schnee in unsere Nacken und schmilzt, alles wird nass. Verdammt! Mit so etwas hatten wir nicht gerechnet! Wir sind froh, als wir wie geplant auf Blau stoßen und machen reichlich desillusioniert Mittagspause. Ziemlich viel Anstrengung für ziemlich wenig Belohnung: Knapp drei Stunden diesmal, anstelle einer halben Stunde (Sommer-)Abstieg. Es ist erst früher Nachmittag und so ziehen wir weiter den Kamm entlang. Es geht wieder hoch, diesmal machbarer als gestern. Wir treffen auf ein Tier aus Schnee, das unsere Laune steigert, doch büßen wir diese auch gleiche wieder ein, denn unser Weg ist schon wieder nicht auffindbar. Dafür haben wir schöne Aussicht, nur leider immer noch ständig Schnee im Rücken. Wir müssen auch diesen Abend einsehen, dass das anvisierte Ziel, eine Salaš (Schäferhütte), die gerade mal einen läppischen Kilometer von unserem – immerhin sehr tollen – Zeltplatz weg ist, für heute schlicht unerreichbar bleibt.
Auch am nächsten Tag werden die Rucksäcke – subjektiv – nicht leichter. Ich verknackse mir den Knöchel auf einem unerwarteten Baumstamm unterm Schnee und werde das noch bereuen. Bald sind wir oben, doch ist die Salaš, von der wir träumten, nicht da. Abgebrannt, wie wir später erfahren. Stattdessen gibt es Nebel, und dann noch mehr Nebel. Es ist klar, das bald nicht mehr viel zu sehen sein wird. Dennoch beschließen wir, die Veľká Lúka zu traversieren, schließlich müssen wir einfach immer nur am höchsten Punkt entlang – abstürzen kann man hier nicht. Schon bald sieht man keine drei Meter mehr. Wir verlieren jegliches Gefühl dafür, ob wir hoch oder runtergehen und versuchen, uns an den Wintermarkierungen entlang zu hangeln. Nach einer Stunde können wir die nächsten Stangen nicht finden. Wir wissen angenehmer Weise exakt, wo wir auf der Karte sind, vermissen GPS und ärgern uns, nicht länger versucht zu haben, die Karten auf den Smartphones zu installieren, die sich auf die Schnelle nicht habe entzippen lassen. Wir stellen die Marschzahl auf dem Kompass ein, trauen dennoch der Richtung nicht und laufen nur halbherzig dem Pfeil hinterher. So verfehlen wir nur knapp unser Ziel, eine Funkturmanlage, nicht. Puh. Null gefährlich, die Situation, aber gute Laune und Spaß sind anders.
Hier treffen wir auf den ersten Menschen seit drei Tagen und steigen die Raupenpiste ins Skiareal „Martinské hole“ ab. Beim Essen in der Aprés-Ski-Bar kennen wir kein Halten. Die Ski-Bar hat WLAN, mit dem wir auch gleich die weitere Tour planen. Wir laufen mit einem der slowakischen Kellner (einem Mountain-Runner, mit unserem Gepäck halten wir echt nicht mit…) die Steilhang-Abkürzung in den Ort Martin herunter und erwischen zufällig punktgenau Bus und Zug nach Žilina, wo wir uns eine Arbeiter-Absteige im Industriegebiet beim Bahnhof ergoogelt haben. Wir trocknen Klamotten und Rucksäcke, essen, duschen und sind platt. Und entscheiden uns, nachdem alles mal wieder länger gedauert hat, ohne Zögern für den späteren Bus am nächsten Morgen.
Außerhalb Bratislavas ist alles beim Alten. Die Eisflächen sind nicht gestreut und ich nehme morgens die erste davon, um mich mit Apfelstrudel in der Hand und nach der Oktoberfest-Werbung schauend langzulegen. Im Bus frühstückend gelangen wir nach Krasňany. Wir packen aufs Neue unsere Füße in Gefriertüten. Die Kälte kriecht schon im Tal unbarmherzig unter die Pullover. Heute ist es kalt, so richtig.
Zum zweiten mal diese Woche steigen wir ordentlich auf, diesmal knapp 1000 Höhenmeter. Alles ist wie gehofft: Es ist steil am Nordhang, es liegt weniger Schnee und: Es ist sogar gespurt! Wir kommen voran und streiten uns am Hang unter Schnappatmung über Helmkameras und Datenschutz, nachdem uns ein Alpin-Ski-Tourer mit ebensolcher auf dem Kopf ins Gespräch verwickelt hat. Die letzten Tage sitzen mir in den Knochen, einfach mal geradeaus gehen, das wäre schön… Doch die Anstrengung lohnt, denn endlich sehen wir sie: echte Berge oberhalb der Baumgrenze. Und der Schnee wird langsam zur weißen Wüste. Eine Stunde vor Dämmerung erreichen wir den Kamm, in den der Wind Eiskanten geschliffen hat und fürchten den für den morgigen Tag angesagten Sturm. So steigen wir wieder rund 100 Höhenmeter zurück, um im etwas flacheren Hang eine Standfläche fürs Zelt zu schippen. Flacher zwar, aber immer noch steil. Wir schippen eine Stunde. Dann Zeltaufbau, das Panorama dabei ist gigantisch: So sehen sie aus, wahrhaftige Berge! Der Vollmond geht auf und vervollständigt die Romantik. Alles ist zum Zähneputzen (diesmal mit Trockenzahnpasta, sehr zu empfehlen, erspart das Auftauen der Zahncreme) traumhaft beleuchtet. Eiseskälte. Wir sind glücklich und zufrieden und schlafen wie jeden Abend nach dem Kochen mit unserem Entspannungs-Podcast vom Smartphone ein.
Nächster Tag und es peitscht der Wind den Schnee über den Kamm. Wir sind froh, auf der Lee-Seite des Kamms zu liegen und hören den Schneeschauern auf der Zeltplane zu. Blauester Himmel. Doch wir trauen uns nicht, das Zelt abzubauen, zu ungemütlich scheint es auf dem Kamm. Wir lassen uns beim Schneeschmelzen anderthalb Stunden Zeit (das dauert auch sonst ewig), lesen die Zeitungsreste, trinken Kaffee, schippen die Mauer ums Zelt höher, machen „Sorbet nach Art des Zeltes“ und versuchen uns nicht zu ärgern, dass gerade am ersten Tag mit richtigem Kamm schlechte Wetterbedingungen sind.
Wir unternehmen eingemummt später einen Ausflug. Schon ohne Gepäck rinnt der Schweiß und uns wird klar, was unsere Körper an den anderen Tagen leisten. Auf dem Kamm angekommen kraxeln wir gen West, das Gebiet wird felsig, die Schneefläche immer enger und irgendwann ist es mir zu steil auf dem Grat, sodass Flo den letzten Gipfel allein erklimmt. Immer wieder krasse Böen und ich erinnere mich an die Panik von vor zwei Jahren: Ein Gebirge weiter südlich drohte mich ein Schneesturm vom Kamm zu pusten – nie wieder brauche ich dieses Gefühl! Der Wind lässt gegen Abend dann auch nach und wir betten uns in unserer inzwischen zur Festung hochgeschippten Zeltburg zur Nachtruhe.
Der nächste Tag wartet mit strahlend blauem Himmel auf. Kein Wind, perfekt! Schnell eingepackt (das dauert trotzdem anderthalb Stunden) und den Skistock, der als Hering hergehalten hat, dabei leicht zerstört. Der wird repariert und schon sind wir auf dem Kamm. Wahnsinn! Sommer! Und wie der Schnee nach Schnee riecht! Eincremen, eincremen, eincremen. Grandiose Aussichten. Erst steigen wir auf den Malý Kriváň, dann wird das Gelände steil, was mich mit meinem angeknacksten Knöchel gehörig nervt. Immer mehr Menschen sind auf einmal mit Schneeschuhen und auf Touren-Ski unterwegs. Es ist Samstag und somit eine Woche Urlaub im Gebirge fast um. Jetzt, wo es gerade richtig anfängt. Wir nähern uns dem Veľký Kriváň, rasten in der Menschenmenge und setzen die Mittagspause keine 15 Minuten später am Skilift mit kalten Pommes und warmer Cola fort.
Es ist schon Nachmittag, doch haben wir noch Kraft, das Wetter ist super und so laufen wir den restlichen Kamm bis an sein östliches Ende und zelten vor unserem Parade-Berg, dem Veľký Rozsutec, der gerade von einer Gruppe Fotografen belagert wird. Wir sind dankbar, dass sich das Zelt auch ohne Schippen aufbauen lässt, denn die rund 20 km Kammweg heute machen sich deutlich bemerkbar. Wahnsinnsaussicht! Wie das erst beim Morgenkaffee aussehen wird! Flo ist mit der Socke im Schuh festgefroren und uns wird bewusst, wie absurd die Aktion eigentlich ist – freiwillig legt sich in den Schnee wohl nur, wer sonst zu weich gebettet ist. Und so bricht unser letzter Abend im Zelt an.
Flo kocht französisch, d.h., es gibt das selbe wie immer: wahlweise Reis mit Linsen oder Nudeln. Und Trockengemüse. Reis und Linsen sind als einziges übrig. Wer nicht kocht, bringt abendlich mit dem Bleistift (Kulis versagen bei Minusgraden) als Tagebuchbeauftragter den Tag zu Papier. Und so halte ich fest, dass unser Wecker wohl kaputt ist, denn er zeigt nur -8°C an. Gefühlt sind Minus 15.
Nächster Morgen und… keine Sicht. Merde. Passt irgendwie zu unserer Tour. Für den direkten Abstieg nach Štefanová, ohne den vorabendlich anvisierten Umweg über den Dreiecksberg Stroh, reichen locker drei Stunden, also drehen wir uns auf RidgeRest und Thermarest (die Luft hat problemlos auch bei Minusgraden gehalten) um und schlafen weiter. Scheiß Idee, denn zwischenzeitlich zieht ein Schneesturm mitsamt Nebel auf, der immer ätzender wird. FUCK. Dabei wollten wir doch nur noch entspannt runter… Uns wird zum Abschluss noch einmal klar, dass Wintertouren keine Spaziergänge sind. Auch die Wintermarkierung ist bald nicht mehr zu sehen. Ich will den Kamm bei dem Wind nicht entlang gehen und wir einigen uns darauf, den sehr steilen Nordhang ins Tal runter zu nehmen: den Weg ohne Weg also, was bei dieser Sichtweite vermutlich aufs Gleiche rauskommt.
Beim Zeltpacken geht der Reißverschluss meiner (uralten) Jacke kaputt, ich komme nicht mehr in mein zweites Paar Handschuhe rein und verfluche mich dafür, in diesem räudigen Gebirge zu sein. Hilft nix, ich bin immer noch dort. Flo leistet ordentlich Überzeugungsarbeit, denn gefühlt stürze ich beim Abstieg kopfüber den Hang hinab. Nach einigen Metern ist die Baumgrenze erreicht, der Wind nimmt wie erhofft ab und die überwiegende Zeit rutsche ich die über 1000 Höhenmeter in Sinnlos-Technik auf dem Arsch von Baum zu Baum den Hang herunter und warte darauf, irgendwo ungeschickt abzuschmieren. Flo kann sich auf seinen Schneeschuhen halbwegs halten, ich beneide ihn um seine Kraft.
Irgendwann kommen wir unten an, überwinden die letzten noch mal richtig steilen Meter mit den Steigeisen (hatte das Kilo mehr sieben Tage lang doch seinen Sinn!) und hangeln uns dem Flusslauf entlang gen Zivilisation. Die kommt nach erstaunlich kurzer Zeit und natürlich, passend in diesem Urlaub: sofort unser Autobus. Wir haben kaum noch Zeit, den gröbsten Schnee wegzubürsten, fallen in den Bus, essen die Reste an Nüssen und Riegeln und lassen uns zurück nach Žilina fahren, wo wir uns in der Bahnhofspinte mit Bier sanieren und später noch einen kurzen Ausflug durch die gar nicht so hässliche Stadt machen, um dann über Pizza und überbackenen Käse herzufallen – unser Auftakt in eine Woche ungehemmten Essens. Permanent ist uns von jetzt an entweder zu kalt, oder zu warm, oder beides gleichzeitig. Wir sind erschöpft, könnten immerfort schlafen und nur für die kurzen Momente, in denen wir uns bewegen, ist Kraft wieder da. Aber wehe, einer von uns versucht in den nächsten Tagen zu sitzen und zu arbeiten…
Flo fährt mit dem Nachtzug zurück nach Deutschland und ich röste mich noch ein paar Tage in der klassisch mitteleuropäisch temperierten Bratislavaer Wohnung eines Freundes. Irgendwann sieht mich auch die Innenstadt samt Buchladen, indem ich sofort zur Karte der Niederen Tatra schreite – unser nächstes Ziel! Der Ausblick auf deren Berge war vom Kriváň zu verlockend!
Fazit: Lieber Gebirge mit freiem Kamm laufen und die höhere Lawinenwarnstufe in Kauf nehmen, als sich im Buchenwald ohne Aussicht, Schnee in den Rücken werfen zu lassen. GPS einpacken! Und vielleicht doch mal in VBL-Socken investieren… Niedere Tatra, wir sehen uns!
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1 Kommentar
Werner Meyer | 26.Jun.2015, 22:17
Klasse Reisebericht!