Dein Abenteuer beginnt hier!
Florian
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9. Mai 2016
Sechs Tage in und um die – laut Guiness-Buch der Rekorde – tiefste Schlucht der Welt. Eisig und alpin auf den Gipfeln, hochsommerlich warm in den Tälern. Atemberaubende Ausblicke und wunderschöne Zeltplätze. Nur Bären habe ich leider keine gesehen.
Superlative hat der Balkan einige zu bieten. Und tiefste Schluchten auch. Die Vikos-Schlucht ist nun die vom Guiness-Buch der Rekorde offiziell als weltweit tiefste Schlucht ausgezeichnet, definiert über das Verhältnis von Höhe zu Breite. Aber wenn man andere Kategorien auswählt, kommt man zu anderen Ergebnissen, und so kann sich jeder seine tiefste Schlucht basteln… Unabhängig von konstruierten Superlativen: die Vikos-Schlucht und die sie umgebenden Zagori sind definitiv eine Reise wert. Atemberaubende Ausblicke, fast 1000 Meter senkrecht nach unten, wechseln sich mit alpinem Gelände, anspruchsvollen Gipfeln und den sagenumwobenen Drachenseen ab. Und in den Schluchten selbst ist es dann plötzlich hochsommerlich warm und die eiskalten, kristallklaren Gebirgsbäche, überwölbt von uralten Brücken, laden zum Schwimmen und Regenerieren der beanspruchten Muskeln ein.
Infos?
Aufmerksam geworden bin ich auf die Berge durch einen Bericht in der Zeit. Darüber hinaus ist es ganz schön schwierig, brauchbare Informationen über die Gegend zu finden. So wusste ich auch kaum, was mich erwartet: Bären? Besser nicht alleine unterwegs sein? Ob ich da überhaupt zelten kann? Oder ist das zu gefährlich? Und ob es brauchbares Kartenmaterial gibt?
Um es vorweg zu nehmen: Vor Ort gibt es sehr gute Karten zu kaufen. Die Wege sind in erstaunlich gutem Zustand und super markiert. Bären gibt es zwar viele, aber jeder Einheimische, dem ich von meiner Besorgnis im Hinblick auf Bären erzählte, lachte mich bloß aus: Da sei noch niemals etwas passiert.
Zelten kann man wirklich überall. Und in der Schlucht am Fluss abends am Lagerfeuer sitzen.
Aus welchen Gründen auch immer: die Gegend scheint im Ausland ein Geheimtipp zu sein. Die kleinen Bergdörfer, bekannt als die schönsten Griechenlands, leben fast ausschließlich vom inländischen Tourismus. Im Sommer 2014, inmitten der Wirtschaftskrise, ist dieser weitestgehend zusammengebrochen. Die Dörfer bestehen aus leeren Pensionen, ein fast gespenstiger Anblick. Ein deutscher Aussteiger, Jens, der mich beim Trampen in die Berge mitnahm und mich mit wertvollen Tipps versorgte, sagt zum Abschied fast beschwörend: „Wenn du wieder zu Hause bist, erzähl deinen Freunden, wie schön es hier ist. Vielleicht kommen dann ein paar Touristen mehr. Die Leute hier haben es bitter nötig.“
Unterwegs
Die günstigste Unterkunft in Jannina ist ein Campingplatz für 13,- Euro/Nacht (am Ufer des Sees, nahe des Busbahnhofs). Ich deckte mich so mit ausreichend Lebensmitteln für eine Woche ein, was sich als gute Entscheidung erwies. In den Dörfern gibt es keine Lebensmittelläden, nur Tavernen, die mir entweder zu teuer und/oder geschlossen waren. Wenn man eine offene findet, kann man nett fragen und bekommt für einige Euro etwas Proviant für die Reise: Brot, Tomaten und weißen Käse. Besser ist es aber, für die komplette Wanderung eingedeckt zu sein. Die ohnehin knackigen Aufstiege sind natürlich mit Proviant für eine Woche nicht ohne. Dafür sind die Berge voller Quellen und klarer Gebirgsbäche, zumindest Wasser muss man also nicht viel mitschleppen.
Und schließlich kann man überall zelten: die Bergwiesen werden von Ziegen und Kühen gepflegt und bieten wunderbare Plätze, im Tal wiederum lässt sich das Zelt in den feinen Kiesbetten der Gebirgsbäche aufbauen. Waldbrandgefahr bestand im Juni keine, und so konnte ich abends am Feuer sitzen, Fladenbrot auf der Glut backen und mich so etwas weniger vor den Bären fürchten.
Letzte Tipps
Wer sicher sein will, dass die Pässe begehbar sind, sollte nicht vor Juli unterwegs sein. Dabei hat die Gegend Potenial auch für zwei oder dreiwöchige Wanderungen. Da Berge und tiefe Täler sich hier so schnell abwechseln, sind die An- und Abstiege anspruchsvoll. Das mediterane Klima in den Tälern entschädigt aber für die Strapazen der Berge. Hier kann man problemlos auch mal einige Nächte am Fluss zelten und den Sommer genießen. Für Touren mit Zelt und ohne Nutzung der Infrastruktur ist die Versorgung mit Lebensmitteln das größte Problem. Die Tour sollte daher so geplant werden, dass man in regelmäßigen Abständen durch Städte kommt in denen es Supermärkte gibt. In den Dörfern finden sich nur Tavernen, Grundnahrungsmittel wie Nudeln oder Reis sind kaum zu bekommen.
Man muss sich auch darauf einstellen, dass ein öffentlicher Nahverkehr außerhalb der großen Städte in Griechland fast nicht existent ist. Wer zwischendurch langweilige Strecken auf Asphalt vermeiden will, der kommt um das Trampen nicht herum. Das funktioniert relativ gut, außerdem ist es eine Möglichkeit, sich mit wichtigen Informationen zu versorgen.
Und zuletzt noch einmal zu den Bären: Ich habe wirklich ordentlich Respekt vor diesen Tieren. Die südeuropäischen Braunbären sind aber deutlich kleiner und auch weniger gefährlich als die Braunbären, die man in Mitteleuropa, z.B. in der Slowakei immer häufiger antrifft. Gerade in der Vikos-Schlucht leben wirklich viele Bären. Aber: mich haben alle Einheimischen ausgelacht, wenn ich erwähnte, dass ich mir beim Zelten Sorgen wegen der Bären mache. Nach einigen Nächten im Zelt habe ich dann aufgehört, von Bären zu träumen und war am Ende sogar etwas enttäuscht, keinen zu Gesicht bekommen zu haben.
Verpflegung
Weil ich abends oft Feuer machen konnte, war es toll, ein Kilo Mehl dabei zu haben. Einfach mit Salz und Olivenöl zu einem geschmeidigen Teig verkneten, kleine Fladenbrote ausdrücken und diese direkt in der Glut backen. So hatte ich für die nächsten zwei Tage Brot, das sonst kaum zu bekommen war. Bestreichen lässt es sich übrigens am besten mit einer Mischung aus Tahin (Sesampaste) und Honig. Ein Tipp, den ich auf eben dieser Tour von einem griechischen Wanderer bekam. So konzentrierte Energie findet sich in keinem Powerriegel!
Die Tour
Bei Regen und Nebel komme ich am Grund der Schlucht an und beschließe, hier die Nacht zu verbringen. Ein Ein-Personen-Zelt steht dort schon. Drinnen ein wortkarger Grieche, der aber sehr glücklich aussieht, als ich ihm einen heißen Tee ins Zelt reiche. Bald kommt noch ein junger Mann, der ebenfalls sein Zelt aufbaut. Ein mir irgendwie Angst machender junger US-Amerikaner aus Texas. Es sollten fast die einzigen Wanderer sein, die ich in der ganzen Woche treffe.
Der Amerikaner trägt Jeans, Baumwoll-T-Shirt und halboffene Kunststoff-Sandalen. Er erzählt mir, dass er schon drei Bären gesehen hat, einen aus der Ferne, einen Angesicht zu Angesicht, als er um die Ecke bog und einen von hinten, nachdem er ihn, zum Spaß mit Steinen um sich werfend, auf den Kopf getroffen hatte. Er schaut auf meine Schuhe und lacht mich aus: "I never wear shoes in which I need socks in." Gut, meine ich, aber in deinen Sandalen wirst du auf Schnee ganz schön frieren. "Oh, I never walk in wintertime." Ich erkläre ihm, dass einige der Pässe noch nicht begehbar sind und auf jeden Fall mit Schneefeldern zu rechnen ist. "Really?" Er glaubt mir nicht. Ja, sage ich, immerhin gehen die Berge noch auf über 2500m hoch. "Oh, sorry, I don't know, how much is this in feed?" Das weiß ich nun auch nicht, jedenfalls kann es noch unter null Grad sein da oben ("Sorry, how much is this in fahrenheit?").
Hilfe, dieser Mensch hat weder Bergerfahrung, noch adäquate Ausrüstung, aber eine gefährlich trügerische Selbstsicherheit. Aber bevor ich ihn bitten kann, vorsichtig zu sein, grinst er schon wieder breit und zeigt auf meinen Rucksack. "What the fuck are your carrying through the mountains?" "Around twenty kilo" Die Antwort hatte ich schon erwartet: "This is crazy, why do you carry so much in your backpack? And, by the way, how much is this in pounds?"
Ich werde auch langsam genervt und sage ihm, dass ich wenigstens vernünftige Ausrüstung dabei habe und außerdem noch Kochutensilien und mir jetzt übrigens etwas zum Abendessen kochen würde. "Really? I never cook my food" sagt er und kaut genüsslich auf seiner Salami. Immerhin denke ich, wenn die Bären doch wider aller Erfahrung Nachts an Zelten rumschnüffeln, dann werden sie dies wohl nicht bei mir sondern bei meinem Nachbarn tun.
Die nächsten Tage treffe ich kaum Menschen. Die Vikos-Schlucht selbst ist in weniger als einem Tag durchwandert. Es geht dann hinauf zum Dorf Groß Papingo. Von der Straße, ab einem Flusslauf hoch, soll sich das Camp des Aussteigers befinden, den ich am Tag zuvor getroffen hatte. Lange klettere ich herum, kann aber weder Jens noch sein Camp finden. Der Zeltplatz am Bach ist dennoch wunderschön. Die Abendsonne noch warm, abends wird es frisch und alles nass von Tau. Am nächsten Morgen geht es weiter durch Mikro-Papingo Richtung Drachenseen. Der Aufstieg ist nicht ohne und es wird empfindlich kalt. Auch das Wetter ändert sich, es sieht nach Regen aus und es kommen starke Windböen auf. Auf fast 2000 Meter befindet sich eine bewirtschaftete Schutzhütte und ich beschließe, hier die Nacht zu verbringen.
Als kurz die Sonne hervorblickt, entschließe ich mich, es ist noch recht früh, zu einer kleinen Tour auf den nächsthöchsten Gipfel. Doch bevor ich den Gipfel erreicht habe, kehre ich um. Ich hatte einfach unterschätzt, wie kalt es hier oben ist. Dazu stürmt, regnet und hagelt es immer heftiger. Kurz vor der Hütte kommt mir der Amerikaner entgegen. In seinen Sandalen und mit regendurchweichtem T-Shirt. Aber guter Dinge. Er habe ja nur noch drei Tage für seinen Rundweg, deswegen müsse er jetzt weiter. Er würde halt oben in den Bergen sein Zelt aufbauen. Kopfschüttelnd lasse ich ihn gehen. Der Hüttenwart erzählt mir, dass die Pässe, die ich eigentlich laufen wollte, noch nicht begehbar sein, der Schnee liege noch zu hoch.
Es stürmt in der Nacht und ich wache immer wieder auf und mache mir Vorwürfe: hätte ich den Amerikaner nicht eindringlicher warnen müssen, hätte ich ihn nicht von seinem Plan abbringen müssen?
Ich breche früh auf. Bald lichtet sich der morgendliche Nebel. Die Sonne kommt durch, wärmt den Körper erstaunlich schnell auf. Auch sehe ich einige Abzweige später, dass der geplante Weg des Amerikaners nicht über die schneebedeckten Pässe führt, sondern bald wieder ins Tal hinunter geht. Ich bin beruhigt. In der warmen Mittagssonne will ich ausgiebig Pause machen, doch die wird bald von äußerst aggressiven Hirtenhunden gestört. Zum Glück kommt schnell der albanische Hirte auf seinem Esel dazu und verjagt die Hunde. Ich biete ihm von meinem Brot an, das ich mit Knoblauch und Olivenöl esse. Er greift ordentlich zu und isst es komplett auf. Es war mein letztes. Dennoch eine schöne Begegnung. Ich durchwandere eine Seitenschlucht der Vikos-Schlucht und erreiche am nächsten Tag das Dorf Kipoi. Die Tour wird kürzer als geplant, da der Weg über den Pass versperrt war und ich ordentlich abkürzen musste. Im Tal ist es wieder hochsommerlich warm. Ich liege in der Sonne am Wasser und immer wenn es zu warm wird, springe ich zum Abkühlen in den eiskalten Fluss. Dass es da oben in den Bergen wenige Grad über Null hatte, hagelte und stürmte, ist jetzt schon nicht mehr vorstellbar.
Ich übernachte hinter Kipoi oberhalb der Vikos-Schlucht. Hier kann man fast 1000 Meter senkrecht nach unten schauen. Die andere Seite der Schlucht ist nur wenige hundert Meter weit weg und doch zwei Tagesmärsche entfernt. Ich beschließe, die Vikos-Schlucht noch einmal zu durchlaufen und dort unten an einem der zwei Seen zu übernachten. Die nächtliche Kulisse ist beeindruckend. Sternklarer Himmel und vom Mondlicht beleuchtete Wände. Aber den allerschönsten Lagerplatz entdecke ich erst am Morgen des nächsten Tages: am Ende der Schlucht, kurz vor dem Aufstieg ins gleichnamige Dorf Vikos, befindet sich an einer Flussbiegung (der komplette Fluss kommt einige hundert Meter zuvor als gigantische Quelle mitten aus dem Berg) eine kleine Kapelle mit bunten Blumenwiesen, weißem Strand und tiefblau-türkisem Wasser.
Nächstes Mal! Denn ich komme bestimmt wieder. Es geht nun weiter nach Konitsa. Von hier fahren Busse nach Albanien, meinem nächsten Reiseziel.
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2 Kommentare
Ute Biechler | 04.Nov.2023, 23:11
Hallo Florian, danke für diesen spannenden und informativen Bericht. Ich hätte noch eine Frage: ich mache mir trotz deiner guten Erfahrungen noch ein bisschen Gedanken über die Bären... Hattest du deine Lebensmittel nachts im Zelt verstaut? Ich finde leider recht wenig Informationen über wildes Zelten im Pindosgebirge. Deshalb würde ich mich über eine Antwort sehr freuen. Mit herzlichen Grüßen aus dem Allgäu, Ute
Maria | 24.Sep.2022, 20:02
Super gut geschrieben!!! Vielen Dank für die Tipps!