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Blau macht glücklich – Mit dem Frachtschiff über den Atlantik

Blau macht glücklich – Mit dem Frachtschiff über den Atlantik

Sebbl ist normalerweise wochen- oder monatelang mit seinem Fahrrad unterwegs. Seine Reisen führten ihn immer wieder an die Enden dieser Welt, so abgeschieden sie auch sein mochten. Doch nun nimmt er uns mit faszinierenden Bildern mit auf eine ganz andere Art zu Reisen, nimmt uns mit auf Hohe See – auf seinen Weg von Genua nach Montevideo. Mit einem Frachtschiff …

 

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich angefangen habe, von einer Reise mit einem Containerschiff zu träumen. Im Erzgebirge aufgewachsen habe ich in der Tat sehr lang davon geträumt. Vom endlosen Horizont des Meeres. Von der dröhnenden Stille auf See. Von Delfinen und Walen, die scheinbar mühelos unsere schwimmende Stadt begleiten. Von Seemannsgarn und schwerer See. Und dem ungestörten Glitzern hunderttausender Sterne. Die Überquerung des Atlantiks auf der M/V RIO NEGRO war dann all dies- und doch ganz anders.

Im September 2016 schiffte ich mich auf der M/V RIO NEGRO ein, einem 70.000 Tonnen -Frachtschiff der Reederei Hamburg Süd. Von Genua aus fuhr ich mit Zwischenstops in Marseille, Barcelona, Valencia, Suape, Rio de Janeiro, Santos und Buenos Aires nach Montevideo/Uruguay. Ich verbrachte 24 Tage auf der RIO NEGRO.

Das Schiff:
Das Transportmittel meiner Wahl für die Strecke von Italien/Genua nach Montevideo/Uruguay war die M/V RIO NEGRO. Ein 286 Meter langes, 40 Meter breites Schiff mit einem Tiefgang von bis zu 13.5 Metern. 5.905 Container kann die RIO NEGRO transportieren. Um diese Masse zu bewegen braucht es 64.000 PS, die das Schiff mit bis zu 23 Knoten (ca.42 km/h) die Weltmeere durchpflügen lassen.

Die Kabine:

Je nach Schiffstyp können verschiedene Kabinentypen und -orte gewählt werden. Auf den Interkontinental-Routen ist man zumeist auf dem Deck direkt unter der Brücke untergebracht. Je nach Schiffstyp bedeutet dies bis zu 50 Meter über dem Meeresspiegel – in angenehmer Entfernung vom Maschinenraum. Die Nasszellen sind Teil der Kabine.

Meine “Koje” hätte wohl jeden Kapitän des 17.Jahrhunderts vor Neid erblassen lassen. Ich verfügte über einen Kühlschrank, Couch & -tisch, einen Schreibtisch inkl. DVD-Player und Flachbildschirm. Ein jedes Stück Inventar war – in weiser Voraussicht schwerer See – auf irgendeine Weise gesichert, meist festgeschraubt.

An Bord

Schon eine 1/2 Stunde nach meiner Ankunft an Bord bekam ich meine erste Führung. Magda, die 3 .Offizierin, führte mich einmal durch alle 6 Decks. Bis auf das Maschinendeck standen mir jegliche Einrichtungen frei zur Verfügung – etwa die Sauna, der kleine Fitnessraum (mit Boxsack!) oder der ‘Officer’s Recreation Room’.

Einen Tag bevor wir das Mittelmeer durch die Straße von Gibraltar verlassen setzt der Kapitän ein Sicherheitsübung an. Beim Erklingen der wahrhaft imposanten Schiffssirene begeben wir uns zu den Sammelpunkten, die uns bei der ersten Führung bereits gezeigt wurden. Wir nehmen probehalber Platz in dem kleinen Boot, welches uns im Fall der Fälle sicher an Land bringen soll. Während die Übung eine willkommene Abwechslung an Bord bedeutet kann und möchte ich mir nicht vorstellen, in dieser Nussschale gemeinsam mit 14 weiteren Person den Launen des Atlantiks ausgeliefert zu sein.

Das Leben an Bord ist – zumindest für den Passagier – ebenso spannend wie entschleunigend. Ich verbringe viel Zeit auf der Brücke. Martin, der 3.Offizier erklärt mir geduldig sämtliche Geräte und Anzeigen auf der Brücke. Der junge Mann gleicht einer nautischen Enzyklopädie. Jede Frage, die ich ihm stelle wird mit einer kundigen und ausführlichen Antwort bedacht. Eine mir fremde Welt eröffnet sich mir in unseren Gesprächen. Gebannt lausche ich den Geschichten von philippinischen Funkern, die des Nachts jedem, der den entsprechenden Kanal eingestellt hat, Lieder vorsingen, von stürmischer See und unerklärten Schiffsuntergängen. Wir versuchen uns vorzustellen, wie sich Magellan gefühlt haben muss, als er vor ziemlich genau 500 Jahren auf exakt dieser Route gen Westen segelte (zur brasilianischen Küste) – auf seinem Weg zur ersten Weltumsegelung der Geschichte. Auch ‘handfestes’ Wissen hat Martin parat, berichtet mir von Routen, Flotten, hohem Preisdruck in der Branche
und einer stetigen Effizienzsteigerung zu Lasten der Besatzungen bei kongruent steigendem bürokratischem Aufwand.

Verpflegung:

Ich habe selten so regelmäßig so viel gegessen wie an Bord der M/V Rio Negro. Man speist in der Offiziers-Kantine am Tisch des Kapitäns. Täglich werden 3 warme Mahlzeiten angeboten. Gäste – wie ich – gliedern sich so in den Arbeitsrhythmus des Schiffes ein.

Auf französischen Schiffen wird dem Vernehmen nach wohl auch Wein zum Abendbrot geboten. Der Kühlraum solch eines Schiffes ist reich gefüllt. Sogar Spanferkel finden sich dort, die einmal pro Überfahrt bei einem standesgemäßen BBQ unter den 100.000 Sternen eines makellosen Nachthimmels über dem Atlantik gegrillt werden.

Dieser Grillabend ist einer der wenigen Gelegenheiten, bei welchen sich beinahe die gesamte Crew versammelt …

Die Crew:

24! Ganze 24 Personen halten diese “Kleinstadt” von einem Schiff funktionsfähig. Ein Großteil der Crew kommt von den Philippinen, aber auch einen äthiopischen Seemann traf ich an Bord. Das Offizierskorps der RIO NEGRO kommt aus Polen und Deutschland. Für alle Eventualitäten ist gesorgt. Eine Krankenschwester ist ebenso an Bord wie ein Frisör.

Inwieweit sich Crew und Offiziere in ihrer Freizeit vermischen hängt nicht selten vom Kapitän – und seiner Handhabung der Hierarchie an Bord – ab. Unser Kapitän legt durchaus Wert auf einen mehr formalen Umgang an Bord. Unabhängig vom beschriebenen BBQ gibt es selten die Gelegenheit für gemeinsame Aktivitäten.

Dafür geht es dann bei den Karaoke-Nächten der Crew umso lebhafter zu. Ich werde nie vergessen, wie ich mit meiner ungarischen Mitreisenden, Johanna, einem philippinischen und einem äthiopischen Seemann lauthals Bohemian Rhapsody von Queen schmetterte!

Am Tag darauf ergriff ich die Gelegenheit sprichwörtlich beim Schopfe und ließ mir von Rico, einem Seemann aus Manila, mit Blick auf die endlosen Weiten des Atlantiks die Haare schneiden.

Blau:

Der Horizont beginnt etwa 10 Schritte von meiner Kabine entfernt. In dem Moment, in welchem ich an Deck trete und den Schutz des Wohnkomplexes verlasse, gelange ich eine andere Welt. Ein blaue Welt. Ein Tag auf See läßt einen durch die verschiedensten Nuancen dieser Farbe wandeln, vom klaren Grau-Blau des anbrechenden Tages bis zum Violett-Blau der blauen Stunde – dem letzten Zwielicht des Tages zwischen dem Sonnenuntergang und der Nacht. Die Tage sind erstrahlen in einer Symphony in tiefblau. Bei starkem Wind sprenkelt nur das Weiß der sich brechenden Wellenkämme eine anderweitig makellose Ebene aus Wasser. Unmittelbar darüber entstehen schneeweiße Wolken aus dem Nichts, wachsen zu gewaltigen Gebirgen heran und verschwinden, ohne einen Beweis ihrer Existenz zu hinterlassen. Ein Stilleben in stetiger Bewegung.

 

Blind:

Kapitän Stanislaw Wojciech stürmt auf die Brücke. Irgendetwas stimmt nicht. Martin, der diensthabende Offizier ist neugierig, hält sich aber zurück. Der Kapitän hat eine Funkverbindung hergestellt und gibt die Neuigkeiten durch:

6 blinde Passagiere. Ja – sie haben sich gerade erst zu erkennen gegeben. Dem Koch gegenüber. Nein. Andere seien nicht gefunden worden. Ja. Alle 6 sind in Gewahrsam genommen worden. Auf dem Oberdeck. Ja. Man bewache sie.

Stanislaw beendet die Verbindung. Er schließt kurz die Augen. Ein tiefes Atemholen vor dem logistischen und bürokratischen Spießrutenlauf der kommenden Tage

6 blinde Passagiere. Die aus Albanien und dem Kosovo stammenden Männer hatten sich zu erkennen gegeben, nachdem ihnen offenbar der Proviant ausgegangen war. Im Hafen von Marseille hatte man ihnen offenbar versprochen, dass die Rio Negro im Verlaufe von 6 Tagen Kanada erreichen würde, wo sich die 6 Männer wiederum Arbeit erhofften. Die Offiziere bitten uns, in Konversationen mit den Männern allzu detaillierte Informationen zu diesem Schiff und seinen Zielen vertraulich zu behandeln. Auch müsse von nun an die Brücke und alle weiteren , anderweitig frei zugänglichen Gemeinschaftsräume aus Sicherheitsgründen verschlossen werden. Johanna, Jean und ich erhalten jeder einen gefühlt 3 Kg schweren Schlüsselbund, um weiterhin alle Räumlichkeiten nutzen zu können.

Einen Tag später treffe ich die 6 auf dem Oberdeck. Während ihre persönliche Kleidung gewaschen wird tragen sie rote Matrosen-Overalls. Gleichwohl sie – vorschriftsmäßig – unter konstanter Bewachung stehen, treffe ich sie in ausgesprochen guter Laune an. 2 der Männer rauchen. 1 junger Mann hält sich mit Liegestützen fit. Bekim, offensichtlich der älteste der Gruppe, schnattert ohne Umschweife los:

Jaa. Deutschland. Da seien sie auch schon gewesen. In Frankfort. Und Dusseldorf. Da gebe es gutes Geld. Ganz im Gegensatz zu Frankreich. Dort könne man auf dem Schwarzmarkt kaum noch Geld verdienen. Ob ich wisse, ob dieses Schiff nach Kanada fährt? In Albanien sehe es leider sehr schlecht aus. Ich wisse schon. Alle Politiker sind korrupt und schlimmer. Aber sie würden schon irgendwo eine Möglichkeit finden, Geld zu verdienen. So seien sie halt. Richtige Abenteurer.

 

Seemannsgarn:

Die Besatzung der Rio Negro sieht das freilich etwas anders. Für sie bedeuten die 6 Neuankömmlinge zunächst vor allem eins: mehr Arbeit. Man erzählt sich die Geschichten von russischen Kapitänen, die blinde Passagiere angeblich ohne langes federlesen über Bord werfen würden. Ganz unbürokratisch. 4 Tage später, im Hafen von Suape (Brasilien) spreche ich mit dem Hafenagenten, der die Übergabe der 6 Abenteurer an die brasilianischen Behörden in die Wege geleitet hat. Er erzählt mir von ‘Stammkunden’ aus der Dominikanischen Republik, die er 2 Mal jährlich von jeweils verschiedenen Schiffen in Brasilien “in Empfang nimmt.” Und von den horrenden Kosten einer Rückführung und dem bürokratischen Alptraum, der ihn in den kommenden 8-10 Wochen beschäftigen wird. Am Ende seiner Ausführungen kann ich die – hypothetische – vorzugsweise Anwendung der ‘russischen’ Methode aus rein praktischen Gründen durchaus nachvollziehen.

An Land:

Auch wenn ich kaum genug von der Gelassenheit des Meeres bekommen kann, fiebere ich den Landgänge mit gespannter Neugier entgegen. Ein Landgang in einem Frachthafen gestaltet sich deutlich schwieriger als die Ankunft in einem Passagierterminal. Hafenpässe müssen ausgestellt werden. Das Hafengelände darf nur ein entsprechender Kleidung betreten werden. Das Verlassen des Schiffes in Sandalen? Undenkbar. Fotografien des Hafengeländes? Nur in Ausnahmefällen. Vom Schiff bis zum Ausgang herrscht Helmpflicht.
Zumindest dürfen wir die Helme beim ‘Concierge’ zurücklassen und müssen sie nicht mit zur Copacabana mitnehmen …

Es ist eine andere Art des Reisens – ein solche Schifffahrt. Wer sich auf die relative Ereignislosigkeit an Bord einlassen kann und will – wird schnell süchtig werden nach den stillen, meditativen Momenten an Bord. Auf der Brücke. Am Bug. In faszinierter Beobachtung der fliegenden Fische, die sich in der mächtigen Bugwelle der RIO NEGRO tummeln. Es heißt:

Stille ist das Gegenteil von Vergessen und Kälte . Im Schweigen leben wir am glühendsten. Denn oft ersticken Lärm und Worte das innere Feuer!

– I.Erhardt –

Reisezeit: Auf den Routen gen Norden wird es im Winter durchaus kühl. Die Routen nach gen Süden dagegen beinhalten die Überquerung des Äquators … eine alle Eventualitäten abdeckende Kleidung – sowohl für die Wärme aus auch Kälte – ist also empfehlenswert.

Anreise: Je nach Route kann es notwendig werden, einen etwas weiter entfernten Hafen zum Einschiffen auszuwählen. Von den Mittelmeerhäfen kann man bsp. in Richtung Asien, respektive Südamerika starten. Man kann bspw. auch – als ein Beispiel – nach Hong Kong fliegen, und ein Containerschiff ‘zurück nach Hause’ nehmen. Eurer Fantasie sind in diesem Zusammenhang nur in Form der Schifffahrtsrouten Grenzen gesetzt …

Routen: Außer einer Fahrt in das Pazifikkönigreich Tonga kann man eigentlich überallhin mit dem Containerschiff fahren. Die Route über das Mittelmeer nach Asien ist ebenso stark befahren wie beliebt. Für etwas kürzere Trips bieten sich Routen in die skandinavischen Länder an. Die Fahrt nach Amerika auf den Spuren Magellans und Kolumbus wird ebenfalls angeboten. Inzwischen gibt es einige Agenturen, die sich auf Reisen mit dem Frachtschiff spezialisiert haben …

Anbieter / Agenturen: www.langsamreisen.de / www.frachtschiffreisen-pfeiffer.de / www.hamburgsued-frachtschiffreisen.de

Kosten: Die Kosten variieren je nach Ziel und Reederei. Man sollte im Schnitt zwischen 105,- und 130,- Euro pro Tag rechnen. Dabei handelt es sich um ‘All-Inklusive’-Preise. Sie umfassen die Unterkunft in einer (komfortablen) Koje, Verpflegung, die Ausstellung etwaiger Hafenpässe, Zugang zum Fitnessraum, einer Sauna etc.

Hier findet ihr zahlreiche Reiseberichte.
Dieser Artikel ist unterhaltsam und kurzweilig geschrieben – ein schöner Eindruck!
Hier findet ihr einen umfassenden Bericht mit detailreichen Erklärungen rund um das Thema.

Sucht man entsprechende Literatur z.B. bei Amazon findet man nicht wenige Reiseberichte, gar “Sachbücher” zum Thema Frachtschiff-Reisen.

Ich selbst bin irgendwann einfach losgefahren …

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