Blind:
Kapitän Stanislaw Wojciech stürmt auf die Brücke. Irgendetwas stimmt nicht. Martin, der diensthabende Offizier ist neugierig, hält sich aber zurück. Der Kapitän hat eine Funkverbindung hergestellt und gibt die Neuigkeiten durch:
6 blinde Passagiere. Ja – sie haben sich gerade erst zu erkennen gegeben. Dem Koch gegenüber. Nein. Andere seien nicht gefunden worden. Ja. Alle 6 sind in Gewahrsam genommen worden. Auf dem Oberdeck. Ja. Man bewache sie.
Stanislaw beendet die Verbindung. Er schließt kurz die Augen. Ein tiefes Atemholen vor dem logistischen und bürokratischen Spießrutenlauf der kommenden Tage
6 blinde Passagiere. Die aus Albanien und dem Kosovo stammenden Männer hatten sich zu erkennen gegeben, nachdem ihnen offenbar der Proviant ausgegangen war. Im Hafen von Marseille hatte man ihnen offenbar versprochen, dass die Rio Negro im Verlaufe von 6 Tagen Kanada erreichen würde, wo sich die 6 Männer wiederum Arbeit erhofften. Die Offiziere bitten uns, in Konversationen mit den Männern allzu detaillierte Informationen zu diesem Schiff und seinen Zielen vertraulich zu behandeln. Auch müsse von nun an die Brücke und alle weiteren , anderweitig frei zugänglichen Gemeinschaftsräume aus Sicherheitsgründen verschlossen werden. Johanna, Jean und ich erhalten jeder einen gefühlt 3 Kg schweren Schlüsselbund, um weiterhin alle Räumlichkeiten nutzen zu können.
Einen Tag später treffe ich die 6 auf dem Oberdeck. Während ihre persönliche Kleidung gewaschen wird tragen sie rote Matrosen-Overalls. Gleichwohl sie – vorschriftsmäßig – unter konstanter Bewachung stehen, treffe ich sie in ausgesprochen guter Laune an. 2 der Männer rauchen. 1 junger Mann hält sich mit Liegestützen fit. Bekim, offensichtlich der älteste der Gruppe, schnattert ohne Umschweife los:
Jaa. Deutschland. Da seien sie auch schon gewesen. In Frankfort. Und Dusseldorf. Da gebe es gutes Geld. Ganz im Gegensatz zu Frankreich. Dort könne man auf dem Schwarzmarkt kaum noch Geld verdienen. Ob ich wisse, ob dieses Schiff nach Kanada fährt? In Albanien sehe es leider sehr schlecht aus. Ich wisse schon. Alle Politiker sind korrupt und schlimmer. Aber sie würden schon irgendwo eine Möglichkeit finden, Geld zu verdienen. So seien sie halt. Richtige Abenteurer.
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