Schwierigkeiten am Sandstein
Da ich bereits einiges an Boulderexpertise (indoor sowie outdoor) hatte und auch etwas Toprope-Erfahrung mitbrachte, konnten wir an Tag 1 die absoluten Basics überspringen und zunächst einfach etwas klettern, um mit der Beschaffenheit der Felsen vertraut zu werden. Obwohl ich dachte, dass die Hornhaut auf meinen Handinnenflächen robust und widerstandsfähig sei, schmerzten meine Hände bereits nach wenigen Routen. Der Sandstein von Suesca ist berühmt-berüchtigt. Zwar sind die Griffe auf den einfachen Routen (Schwierigkeitsgrad 4-5) meist groß und anfängerfreundlich, doch das scharfkantige Gestein macht sie zu einer gelegentlich schmerzhaften Angelegenheit. Aber da muss man durch und spätestens am zweiten Tag hat man sich daran gewöhnt und vergisst es irgendwann ganz.
Einige der Routen in Suesca sind mit Bohrhaken und einer Kette am Top versehen und eignen sich daher zum Sportklettern. Viele Routen sind jedoch traditionell und benötigen somit einen Anker am Ende der Kletterei. Falls man nicht über den Felskopf aussteigen kann, sind für den Anker zwei Metallringe im Felsen verbohrt. Da für dieses Unterfangen etwas Know-how im Seilmanagement vonnöten ist, übten wir das zunächst mit beiden Füßen auf dem Boden. Auch der Einsatz von Klemmkeilen und sogenannten Cams muss zunächst einmal gelernt sein, damit die Zwischensicherungen auch die nötige Last aushalten und tatsächlich als Sicherungen dienen können. Guide Carlos entpuppte sich als sehr guter und detailversessener Lehrer, dem kein Knoten gut genug und Ordnung des Equipments heilig war.
Respekt wahren, Angst überwinden
Nach dem ein oder anderen Probedurchlauf war ich schließlich bereit: Zum ersten Mal in meinem Leben kletterte ich am Fels im Vorstieg. Die ersten Züge waren die schwierigsten, denn aus irgendeinem Grund sind die ersten Bohrhaken in Suesca häufig erst nach mehreren Metern erreichbar. An den Gedanken, nicht ständig im Toprope gesichert zu sein, musste ich mich zunächst gewöhnen. Natürlich wählte ich für meine erste Kletterei im Vorstieg keine überaus schwierige Route, sondern etwas im Schwierigkeitsgrad 5a-5b. Und so konnte ich meine Angst schnell überwinden und ohne größere Schwierigkeiten zum Ende der Kletterei gelangen. Auf einem kleinen Felsvorsprung neben der Kette am Top der Route setzte ich mich kurz ab und genoss die Aussicht. Von hier aus ließ sich das gesamte Areal wunderbar überblicken. Eine kilometerlange Felswand auf der einen, landwirtschaftlich genutzte Felder und dichte Brombeerbüsche auf der anderen Seite. Dazwischen: eine alte Zugschiene. Ein paar Mal am Tag fährt auch tatsächlich unter lautem Getöse ein Zug entlang. Und hier und da grast eine dicke, fette Kuh gemütlich neben den Gleisen.
Am zweiten und am dritten Tag ging es vor allem darum, das Gelernte zu vertiefen. Auf verschiedenen Routen bis in den Schwierigkeitsgrad 6b lernte ich, einen Prusik anzulegen, Sport- und Trad-Routen vom Top abwärts abzubauen und verschiedenste Knotentechniken. Außerdem kletterte ich einige wunderschöne Routen. Der Canal de Panama, eine 5b nach französischen Schwierigkeitsgraden, ist ein herrlicher, bis zu 20 Zentimeter breiter Riss, der sich die Felswand hinauf schlängelt. Handjams kannte ich bislang nur aus Klettervideos und erfuhr zum ersten Mal, wie es ist, wenn es den ganzen Körper braucht, um sich einen Riss hinauf zu kämpfen. Nach einigen Anläufen schaffte ich die Route schließlich. Als ich oberhalb des Risses ankam und über mich blickte, sah ich, dass da noch eine ganze Menge Fels über mir ragt. Die 30 Meter lange Route ist nur ein Bruchteil der gesamten Felswand. 150 Meter misst der Kletterfels von Suesca an der höchsten Stelle. Darum schlug Guide Carlos für den nächsten Tag eine Multi-Pitch-Route über die gesamte Höhe vor.
Erste Mehrseillängenroute
CAEC sei die leichteste Multi-Pitch in Suesca, erklärte Carlos. Nach ein paar Routen des Warmmachens und erneuter Einweisung und Überprüfung aller gelernter Inhalte ging es los. Drei Seillängen: Carlos kletterte vor, ich hinterher. Den Schwierigkeitsgrad konnte ich nie in Erfahrung bringen, doch es war wirklich nichts allzu Schweres. Ein aus einem Zug bestehendes Boulderproblem ganz am Ende der ersten Seillänge war die einzige ernstzunehmende Herausforderung. Doch es ging hier ja auch um etwas anderes. Es war zum einen das Erlebnis und zum anderen ging es um das Erlernen der Techniken auf einer solchen Route: Seilmanagement, Knotenkunde, Ankerbau und -abbau wurden nun in der ultimativen Kombination angewendet.
Die zweite Seillänge endete kurz vor dem Ende der Felswand auf einer Slab-Wand – also einem wenig steilen Abschnitt des Felsens. Von hier aus waren es nur noch ein paar Meter bis ganz nach oben. Dort angekommen sah ich zum ersten Mal, wie es hinter der Felswand aussieht. Hier erstreckt sich die Landschaft zunächst über ein flaches Tal bis zum Fuß einer dicht bewaldeten Gebirgskette. Die Gipfel hingen in den Wolken und der Tag neigte sich auch schon dem Ende zu und damit auch mein Kletterabenteuer im kolumbianischen Suesca. Ein schöner Anblick zum Abschluss.
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