Der Morgen zeigt sich kompliziert. Wir folgen erst zwei mal irgendwelchen Holzeinschlagspfaden und enden in Sackgassen, bevor wir den Wanderpfad finden. Als wir jedoch endlich dem richtigen Weg folgen, kommt das Wandern ins Rollen, der Wald voller Coigües wird immer schöner, wir kreuzen Bäche und genießen die Sonnenstrahlen, die sich langsam durchs Blätterdach trauen. Der Pfad, dem wir folgen, wird immer schmaler und immer öfter gehen Gabelungen davon ab. Wir laufen eigentlich nur noch der Nase nach oder dem Versuch, den spärlichen Beschreibungen und der richtigen Himmelsrichtung zu folgen. Immer mehr Pferde und Kühe begleiten den sich lichtenden Wald und wir stellen gegen Mittag fest, dass wir keinen blassen Schimmer haben, welchem dieser Trampelpfade wir eigentlich folgen müssen. Das Aufteilen und Auskundschaften verschiedener Optionen führt zu keinem eindeutigen Ergebnis, die Hauptstädtler wollen zurück zum Lago Azul und schließlich geben auch wir uns dem Labyrinth geschlagen und kehren um. Der inzwischen freundlichere Hofbesitzer am Strand setzt uns mit dem Motorboot über den See, wodurch wir wieder in Llanada Grande ankommen.
Unsere Freude hält sich sehr in Grenzen. Wir haben kein Bargeld mehr und auch bald kein Essen, sehen uns also gezwungen, das Puelo-Tal wieder in die selbe Richtung zu verlassen, aus der wir gekommen waren. Welch Enttäuschung! Wir beschließen, den Polizisten unser Scheitern zu beichten, nur für den Fall, dass sie die Kollegen am Lago de las Rocas nach zwei jungen deutschen Wanderinnen fragen würden … eine unsinnige Suchaktion wollen wir nicht auslösen!
Wie erwartet, werden wir gehörig ausgelacht und zum Grillen eingeladen (irgendeiner der Polizisten hat Geburtstag). Wir wollen aber weiter, müssen ja immer noch aus unserer misslichen Lage irgendwie raus und Richtung Ort mit Geldautomat. Trotz schon beachtlich vorhandenem Pegel (oder gerade deswegen?) hat der Chef dann einen Geistesblitz: Ein Kollege muss zum Lago de las Rocas fahren, wo er einen verletzten Jungen vom entgegenkommenden Polizeiboot in Empfang nehmen und zum Arzt bringen muss. Der könnte uns eigentlich mitnehmen und per Funk wird auch dem Boot erklärt, dass die Rückfahrt durch zwei deutschen Studentinnen bereichert wird. Wir können diesen schnellen Wendungen des Schicksals kaum folgen, setzen uns brav ins Auto und verstehen dann doch langsam unser Glück: Mit dem Polizeiboot schaukeln wir gegen Mitternacht unter einem atemberaubenden Sternenzelt unserem Tagesziel doch noch entgegen!
Die letzte Etappe erscheint uns am nächsten Tag fast zu einfach: Wir lassen uns morgens die Ausreise aus Chile abstempeln, wandern über unwegsame, aber wunderschöne Pfade entlang des Lago Inferior. Der Weg ist immerhin eindeutig und irgendwann sogar markiert! Das beeindruckt uns so sehr, dass wir die unglaublich wackligen Baumstämmchen, die uns über rauschende Bäche mit beachtlichen Wassermengen leiten, kaum als gefährlich wahrnehmen.
Nach ca 12 km erreichen wir die argentinische Polizei, wo wir nicht nur einen Stempel kriegen, sondern auch kostenlos zelten dürfen und Eier geschenkt bekommen. Wir sind selig, machen Feuer und genießen das Gefühl „fast da zu sein“. Gegen Abend setzt ein starker Dauerregen ein, der die ganze Nacht anhält, weswegen wir am nächsten Morgen den letzten rund 10 km bis zum Ort Lago Puelo recht schlecht gelaunt entgegensehen. Wir hatten spät abends jedoch noch Gesellschaft auf dem Campingplatz bekommen: Vier Kumpels aus Mendoza wollten die entgegengesetzte Tour nach Chile wandern. Angesichts des Regens beschließen sie jedoch zurückzugehen, wodurch wir gemeinsam wandern und einen dann doch noch aufhellenden und wunderschönen Tag zu sechst verbringen. Im Dorf angekommen, beschließen die vier kurzerhand, uns mit zum Häuschen von Carlos Mutter zu nehmen, wo wir alle gemeinsam zelten und in einer großen, familiären, wunderbaren Runde zwei Tage später Silvester feiern. Die Wandertour durch das wunderschöne Puelo-Tal geht damit zu Ende und wir sind froh, stolz, dankbar und voller Glück, dass wir diesen Winkel der Erde auf diese Weise und (noch) ohne Staumauern erleben durften, neue Freunde gefunden haben, gelernt haben, dass man mit der Polizei trampen kann und unseren Orientierungssinn neu einschätzen gelernt haben.
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