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Testbericht: Bequem zu tragen und technisch ausgefeilt – Kindertrage Thule Sapling

Testbericht: Bequem zu tragen und technisch ausgefeilt – Kindertrage Thule Sapling

Es gibt Produktgruppen, die nur selten in Testberichten eine Rolle spielen – sei es, weil sie zu speziell, zu extrem oder zu uninteressant sind. Oder aber, weil solcherlei Testberichte nutzlos sind, da sie nicht den geringsten Erkenntnismehrwert versprechen. Weil es im besagten Sortimentsbereich bereits ein Produkt gibt, welches geradezu den Idealtypus darstellt. Welches sowohl notwendige als auch zusätzliche Vorteile, die im jeweiligen Anwendungsbereich eine Rolle spielen, mühelos in sich vereint oder gar noch übertrifft.
Kindertragen sind eine dieser Produktgruppen.

Wer nach Kindertragen fragt, fragt eigentlich nach einer Kid-Comfort-Kraxe von Deuter. Analog zu Selters, Tempotaschentüchern oder Google hat sich im Segment der Kindertragen die Produktbezeichnung zur Typenbezeichnung weiterentwickelt. Insofern stimmt es auch nur wenig verwunderlich, dass es nicht allzu viele Hersteller wagen, mit einem eigenen Modell die Deut(er)ungsherrschaft im Kindertragenbereich in Frage zu stellen. Ein paar historische Versuche sind aktenkundig, aber keiner war wirklich erfolgreich. Wozu den Aufwand betreiben, etwas zu verbessern, das offensichtlich nicht besser geht? Kid Comfort Pro, Kid Comfort und Kid Comfort Active sind State of the Art und Maß aller Dinge, wenn es um den personenbetriebenen Geländetransport von Kleinkindern geht.

Auftritt Kindertrage Sapling (Deutsch: Setzling, Spross) des schwedischen Herstellers Thule!
Die bei dieser Firma ohne Zweifel vorhandene Expertise für Transportvehikel aller Art, seien es Fahrradanhänger oder die legendären Dachgepäckträgerboxen, geht mit einem gewissen Prestige einher, welches einen Test dieser Kindertrage zumindest als verhältnismäßig aussichtsreich erscheinen lässt.
Ich habe bereits unzählige Touren mit Kindertragen unterschiedlicher Hersteller begangen und bisher war mein Urteil eindeutig: Außer Deuter kommt mir nichts auf die Hüfte. Gewiss, auch die Dinger schleppen ein Kind nicht von allein, aber sie ermöglichen zumindest ein gewisses Genussempfinden während der Wandertour, wohingegen sämtliche anderen Bewerber sich bereits nach wenigen Stunden aufgrund massiver physiologischer und motorischer Beeinträchtigungen beim Tragenden (also bei mir) vollauf disqualifizierten. Um dem höchsten Anspruch gerecht zu werden, werde ich daher im Folgenden stets auf die Deuter-Kindertragen Bezug nehmen und die jeweiligen Aspekte in diesem Kontext vergleichen.
Also ab dafür, Kind und Kindertrage ins Auto gepackt und kurzerhand gen Südtirol im schönen Norditalien gebrennert! Getestet wurde die Sapling auf mehreren Tagestouren in den südöstlichen Ausläufern der Ötztaler Alpen mit mal mehr und mal weniger befestigten Wegen, aber stets mit einer beachtlichen Dosis Höhenmetern.

So denn, first things first: das Tragesystem, Dreh- und Angelpunkt jeder Kindertrage.

Bautechnisch bedingt besitzen Kindertragen, kurz „Kraxen“ genannt, die Eigenschaft, dass ihr Schwerpunkt im Vergleich zu einem Trekkingrucksack relativ weit von der Mittelachse des tragenden Körpers entfernt ist. Ist klar: Das in luftige Wipfel zu bugsierende Kleinkind mit dem Bauch direkt an den Rücken der tragenden Person zu schnallen, wäre einigermaßen unschön. Es bedarf schon eines Mindestmaßes an Bewegungsfreiheit. Das Kind sitzt also bequem etwas weiter weg vom Körper der Lastenperson, wodurch der Tragekomfort für diese, besonders bei fortgeschrittener Gewichtsentwicklung des jeweiligen Kindes, eher bescheiden ausfallen muss.

Nur, was soll ich sagen? Hier ist Thule ein wahrer Geniestreich gelungen! Das Tragesystem der Sapling ist eine komplette Eigenentwicklung und weder in Form noch im Aufbau mit anderen Kindertragen vergleichbar. Und es ist richtig gut! Die Schultergurte und der Hüftgurt sind ziemlich leicht, überaus anpassungsfähig und darüber hinaus aufwendig ergonomisch geformt. Auch die Polsterschäume am Rücken fallen nicht zu dick oder materialintensiv aus. Meine Sorge, dieser relative Mangel an dämpfendem und stabilisierendem Material könnte sich nach längerer Tragezeit negativ bemerkbar machen, wurde nicht im Geringsten bestätigt. Die Sapling sitzt präzise und exakt dort, wo sie muss und da bleibt sie auch. Der Hüftgurt scheuert nicht übermäßig und ist zudem im Umfang verstellbar, kann also auf unterschiedliche Körperfüllen einjustiert werden. Die Lastenübertragung gelingt über die gesamte Tragedauer auffallend effektiv.

Diesbezüglich dürften zwei weitere bautechnische Aspekte von nicht unerheblicher Bedeutung sein: der rückwärtige, externe Rahmen der Sapling und ihr beachtlich niedriges Gewicht. Jener Rahmen ist das optische Alleinstellungsmerkmal dieser Thule-Trage, verdankt seine Existenz aber einer funktionalen Erwägung: Er sorgt im Verbund mit den klassischen Alustreben hinter der Rückenpartie für eine höhere Formstabilität der Trage und garantiert dadurch eine viel effizientere Lastenübertragung. Und niedriges Gewicht ist ja ein Universalvorteil bei zu schleppendem Kram.

Noch ein paar Hard Facts zum Schluss: Das zum Einsatz kommende Textilmaterial ist ein 70 Denier starkes Nylon, also ausgesprochen reiß- und scheuerfest. Es ist zudem komplett PFC-frei und teilweise recycelt. Sitzpolster und Kinnpolster sind abnehmbar und maschinenwaschbar und ein Trinksystem ist integrierbar.

Die Trage hat ein Gesamtgewicht von 3,2 kg und trägt Kinder mit einem Gewicht von bis zu 18 kg bei einer Gesamtlastenkapazität von 22 kg. Mehr geht natürlich immer, je nach Zuladung waren es bei mir auch schon mal 26-28 kg. Davon geht die Kindertrage nicht kaputt, der „Spaß“ wird aber überproportional anstrengender.

Nicht ganz, aber doch auch ziemlich wichtig: der Transportkomfort für den zu transferierenden Passagier. Hier wirbt Thule mit einem bequemen Kopf- bzw. Kinnauflagekissen, das allerdings Standard sein sollte und überdies meiner Ansicht nach eine etwas stärkere Polsterung hätte vertragen können. Spezieller ist da schon der ErgoRide-Kindersitz, welcher im Gegensatz zu anderen Kindertragen eine breitere Sitzfläche aufweist und eine Auflagefläche für die Oberschenkel des Kindes bietet und diese damit komplett  abstützt. Das Kind soll dank dieser Bauweise permanent in einer entspannten Sitzhaltung verharren können, ohne unbequeme Druckstellen davonzutragen. Zudem wurde an einen Einstiegsmechanismus gedacht, welcher es dem Kind ermöglicht, die Kindertrage aus eigener Kraft von der Seite her zu betreten. Dafür können die seitlichen Zuggurte geöffnet und die Rückenlehne etwas weiter als üblich nach hinten aufgeklappt werden.

 

Um das ganz klar zu sagen: Auch in keiner anderen Kindertrage habe ich Druckstellen an den Beinen meiner Tochter feststellen müssen. Allerdings gebietet es der gesunde Menschenverstand, den kleinen Beinen nach spätestens 60 Minuten ein bisschen Auslauf zu verschaffen, da die Durchblutung in den unteren Extremitäten nach einer gewissen Zeit schon mal wieder etwas stimuliert werden muss. Und das ist auch bei der Sapling nötig. Als während eines etwas längeren Abstieges nach doch knapp zwei Stunden meine Tochter aus ihrem Mittagsschlaf erwachte, klagte sie über ein leichtes Kribbeln in den Beinen – ein eindeutiges Indiz für eine notwendige Pause! Ach ja: Meine Tochter ist vier Jahre alt. Bei zweijährigen oder noch jüngeren Passagieren sollte man sich nicht auf verbale Unmutsäußerungen verlassen, sondern eher präventiv agieren.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass meine Tochter sehr bequem in der Sapling saß und schlief, allerdings erachte ich weder die breitere Sitzfläche noch die Möglichkeit des seitlichen Einstiegs als entscheidende Alleinstellungsmerkmale. Funktioniert gut, aber mehr auch nicht.

Was mich zum erweiterten Funktionsumfang führt. Sowohl Tragesystem als auch Kindersitz sind unkompliziert höhenverstellbar, die Seitengurte sind leicht gepolstert und stabilisieren das Kind beim Schlafen oder auf abschüssigen Wanderwegen optimal. Weder ist die Sitzhaltung zu gequetscht, noch zu locker. Allerdings erschien mir die Bedienung der seitlichen Gurte ein wenig zu frickelig, was aber natürlich keinen eklatanten Nachteil darstellt. Die Polsterschäume des Tragesystems sind intensiv und innovativ retikuliert. Also Rückenbelüftung at its best! Auch am Kindersitz ist für ausreichend Belüftung gesorgt, sodass Überhitzung nahezu ausgeschlossen ist. Der Sicherheitsgurt fürs Kind ist unkompliziert feinjustierbar und befestigt den Nachwuchs stabil in der Sitzposition. Ein Sonnendach gehört obligatorisch zum Lieferumfang dazu (ohne ginge natürlich gar nichts) und auch die aufgesetzten Hüftgurttaschen haben sich als serienmäßiges Feature etabliert.

Und nun kommt nach all dem freundlichen Hype doch noch eine Einschränkung: Beim Stauraum agiert die Sapling für meine Bedürfnisse eindeutig zu spartanisch. So fehlt zum Beispiel ein an der Rückseite der Rückenlehne angebrachtes Einschubfach völlig und ich frage mich: Warum? Wohl, weil dort ein zusätzlich zu erwerbendes Mini-Daypack angebracht werden kann (entsprechende Steckschließen sind vorhanden). Aber eben: zusätzlich zu erwerbendes. Und auch der vorhandene Stauraum unterm Kindersitz ist knapper bemessen als etwa bei der Deuter Kid Comfort Pro. Nun sehe ich eine Kindertrage ja nicht als Trekkingrucksack an und erwarte keine 60 Liter Stauraum. Aber ein, zwei Liter mehr wären schon praktisch gewesen. Wenn neben Getränken und Speisen noch Regenkleidung und Wechselkleidung fürs Kind rein soll, wird‘s eng und die angegebenen 22 Liter Stauraum würde ich eher rege in Zweifel ziehen.

Vorteil natürlich: Die Trage wird durch übermäßige Beladung nicht noch schwerer. Wer also sowieso lieber weniger mitschleppt oder die Begleitperson in den Lastentransport einzubinden pflegt, wird unter dieser Einschränkung nicht leiden. Und wie gesagt: Das Wesentliche passt schon rein.

Nun also mein Fazit: Die Sapling ist eine vollumfänglich zu empfehlende und universell einsetzbare Kindertrage, mit welcher Thule durchaus in der Lage ist, die Deuter-Phalanx wirkungsvoll herauszufordern.

Als wesentliches Alleinstellungsmerkmal sehe ich das ergonomisch optimierte und technisch ausgeklügelte Tragesystem, welches ein ausgesprochen dynamisches und auf längeren Strecken verhältnismäßig erschöpfungsminderndes Tragen garantiert. Die Trage trägt sich mindestens ebenso stabil wie die Deuter-Konkurrenz, verhält sich dabei jedoch deutlich weniger sperrig. Sie weist einen äußerst befriedigenden Funktionsumfang auf, einzig der Stauraum gerät etwas zu kompakt.

Im Endeffekt ist natürlich die individuelle Passform ausschlaggebend, insofern gilt nach wie vor: Aufsetzen und ausprobieren! Für mich trägt sich die Sapling jedenfalls ausgezeichnet.

+ niedriges Eigengewicht
+ optimale Ergonomie
+ sehr technisch und funktional konstruiert, daher hervorragende Lastenübertragung gerade bei längeren und herausfordernden Touren
+ bequeme Sitz- und Schlafhaltung des Kindes
+ sehr stabil und strapazierfähig

– Stauraum etwas knapp bemessen
– Kinn-Polsterung für’s Kind könnte etwas reichlicher ausfallen

Wer das grundsätzliche Konzept „Kindertrage“ erst einmal ausprobieren möchte, ohne gleich in ein eigenes Exemplar zu investieren, oder weiß, dass das Teil nur einmalig benötigt wird, dem sei die Möglichkeit ans Herz gelegt, im tapir eine Kindertrage zu mieten. Egal ob übers Wochenende oder für die dreiwöchige Alpenwanderung, wir haben verschiedene Modelle zur zeitlich begrenzten Überlassung vor Ort. Für erste Eindrücke und Reservierungen ist unser Vermietportal die beste Adresse.

Sapling

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429.95€

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