Außerhalb der größeren Ortschaften müssen wir uns von Nudelsuppe und chinesischen Süßigkeiten „ernähren“. Erstere enthält in etwa so viele Kalorien wie eine Scheibe Brot, wir essen daher mehrere Portionen und bitten meist um Eier in der „Brühe“ (= Wasser). In vielen Orten gibt es Märkte mit allerlei frischem Obst und Gemüse sowie gebratenem Getier (Hühnchen, Papageien, Ratte, Spinne), das manchmal jedoch schon wieder zu leben beginnt … Die Verpflegung erschien uns insgesamt eher dürftig, selbst kochen lohnt daher eindeutig. Richtig Abwechslung gibt es auf den Nachtmärkten der touristischen Städte.
Radfahrer sollten ein Zelt dabei haben, denn gerade in abgelegeneren Gebieten fernab touristischer Orte gibt es nicht immer Hotels. Die Zeltplatzsuche ist allerdings Nervenkitzel pur. Manche Gebiete, vor allem im Osten des Landes, sind mit etwa 80 Millionen Minen und Blindgängern verseucht: Die Amerikaner ließen im „Vietnamkrieg“ 270 Millionen Streubomben regnen, um den Ho-Chi-Minh-Pfad zu zerstören, die Hauptversorgungsroute der Nordvietnamesen. Noch heute sind 30 Prozent davon tickende Zeitbomben. Wir vermeiden es daher tunlichst, ausgetretene Wege zu verlassen. Nachts knallt es oft in den Wäldern und bewaffnete Wilderer, die schlafende Vögel und nachtaktive Nager von den Bäumen ballern, passieren unser Zelt. Mehrmals brechen Wasserbüffel aus der Dunkelheit und bahnen sich, schnaubend wie eine Dampflok, ihren Weg am Zelt vorbei. Nicht auszumalen, würde sich eines der massigen Tiere in den Leinen verheddern. Längst haben wir uns an die pflaumengroßen Taranteln, halbmeterlangen Regenwürmer, Moskitoschwärme und Mäuse gewöhnt. Nur eine papierdünne Membran trennt uns von all diesen realen Unheimlichkeiten und meist trage ich Ohrenstöpsel, nach dem Motto: „Was ich nicht höre, gibt’s auch nicht.“ Das größte Problem jedoch sind die allgegenwärtigen Ameisen. Mit einem durchlöcherten Zeltboden und dem Gesicht voller bissiger Krabbeltiere aufzuwachen, wie es anderen schon passiert ist (!), wäre unser persönlicher Albtraum. Peinlich genau untersuchen wir daher einen potentiellen Lagerplatz auf Ameisenstraßen, markieren No-Go-Areas und inspizieren jedes Erdloch auf seine Untermieter.
„Da klopft was!“ Claudia ist hellwach. Tatsächlich, es klingt, als würden unzählige Finger rhythmisch und koordiniert von unten gegen die Isomatten klopfen. Heute haben wir scheinbar einen Termitenbau übersehen, dessen Bewohner die feindliche Besatzung spät in der Nacht bemerkt haben und auf der Zeltplane nun buchstäblich Verstärkung zusammentrommeln. Wir liegen regungslos und hoffen auf Frieden, doch es hilft nichts: Das erste von insgesamt drei Mal in dieser Nacht müssen wir einpacken und das Zelt ein paar Meter weiter erneut aufbauen.
Rund um Kasi treiben bewaffnete Rebellen ihr Unwesen, in der Vergangenheit kam es zu Überfällen auf Überlandbusse. Einige winken uns, die Kalaschnikow lässig über der Schulter baumelnd, freundlich zu, unheimlich ist es trotzdem. Immer häufiger steuern wir daher abends buddhistische Klosteranlagen an, deren Mönche uns stets willkommen heißen und als Highlight des Tages ihre Eimerdusche überlassen. Sichere Refugien mit samtweichen Rasen, ohne Büffel, ohne Wilderer, ohne Schüsse. Fast jeder junge Mann verbringt zumindest ein paar Wochen seines Lebens im Kloster und gilt erst danach als „reif“, die Zeiten der Enthaltsamkeit sind also nur vorübergehend. So wundert es nicht, dass die jungen Novizen genauso den weltlichen Genüssen erliegen wie wir auch: Smartphones, Zigaretten, Beer Lao. Die hochangesehen Mönche werden von der Dorfgemeinschaft am frühen Morgen mit allerlei Gaben versorgt. Wir beobachten das Kommen und Gehen der Dorfbewohner aus dem Zelt heraus – und werden im Gegenzug genauso aufmerksam beäugt. Die Klöster sind häufig zentral im Dorf gelegenen, sodass Horden neugieriger Kinder jeden unserer Handgriffe beobachten. Auch die Eltern kommen gerne kucken. Manche verfolgen uns sogar bis ins „Badezimmer“, denn wann lässt sich denn sonst ein nacktes Bleichgesicht aus der Nähe inspizieren? „Falang, Falang“, tuschelt es um uns herum: „Weißgesichter“. Die Türe hinter sich zumachen können, Füße hochlegen auf der eigenen Couch. Ferner Luxus.
Zum Schluss noch ein “Achtung”, denn auch die Hotelzimmer sind zu inspizieren. Wir treffen einen Radler, der im weißen King-Size-Bed von einem handgroßen Hundertfüßer gebissen wurde, und sich nun selbst täglich den Eiter aus einer walnussgroßen Wunde löffeln muss.
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