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Traditionelles Schuhhandwerk – Zu Besuch bei Hanwag in Vierkirchen

Traditionelles Schuhhandwerk – Zu Besuch bei Hanwag in Vierkirchen

Vierkirchen? Wo? Ah ja, bei München. Okay, das kann man so sehen, doch für uns hat es sich angefühlt, als läge die kleine Gemeinde gefühlt am Ende der Welt. Es sah so gar nicht aus nach einem Hotspot der globalen Schuhproduktion. Wir haben auf dem Weg zumindest kurzzeitig an unseren Navigationsgeräten gezweifelt, die unsere Fahrzeuge auf ziemlich schmalen Straßen auf unterschiedlichen Routen bis in die Wiesenfeldstraße geführt haben. Außerdem hat es die ganze Zeit auf der Fahrt geregnet, alles wirkte ziemlich düster und grau. Doch Stopp, damit wird man Hanwag und dem, was sie in 99 Jahren alles erreicht haben, nun wirklich nicht gerecht. Immerhin werden in Vierkirchen seit 1921 Schuhe produziert und das nicht nur im kleinen Kämmerlein am Ende der Straße. Bis heute geht es bei den Bayern um zeitloses Design, Verlässlichkeit, Langlebigkeit, Tradition, Innovation, Nachhaltigkeit im Schuhhandwerk. Spannend war es, es gab viel zu sehen und zu fragen. Und heute nehmen wir euch einfach in unserem Rückblick mit auf eine virtuelle Tour durch das Werk in Vierkirchen. Willkommen bei Hanwag!

 

Auf dem Rückweg von unserer diesjährigen Wintertesttour wollten wir die Gelegenheit nutzen, uns bei Hanwag umzusehen, dabei mehr über Leder, Schuhe und Produktionsabläufe zu erfahren. Neugierig waren wir auch auf die Service-Abteilung, denn wir wollen schon immer mal wissen, wie Bergschuhe neu besohlt werden. Stefan Jerg hatte sich mit seinen Kollegen viel Zeit genommen, uns durch die Räume und die Produktionsstätte zu führen und all unsere Fragen zu beantworten. Letzteres war teilweise gar nicht so einfach, denn auch unter uns tapiren sind Vertreter, die der Weiterverarbeitung von Leder durchaus kritisch gegenüberstehen. Doch dazu später mehr.

Schuhfans und Outdoorenthusiasten kennen natürlich die Geschichte der Wagner-Brüder: HANs WAGner wird 1896 in Jetzendorf geboren. Wie auch seine Brüder Alfred Wagner und LOrenz WAgner wurde er Schumacher. Jeder gründete sein eigenes Unternehmen: Hanwag (Hans gründete seine Firma 1921 in Vierkirchen), Lowa (1923 übernahm Lorenz das Schuhmachergeschäft von seinem Vater in Jetzendorf) und Hochland (von Alfred in Weichs gegründet). Es war die Zeit, in der Firmengründer ihre Initialen im Firmennamen aufleben ließen und bis heute stehen sowohl Hanwag als auch Lowa für qualitativ hochwertige Wander- und Bergschuhe, beide Firmen prägen neben Meindl den deutschen Outdoor-Schuhmarkt. Dabei bedarf es bei all der modernen Technologien bis heute immer noch viel Handarbeit, damit unsere Füße in den Bergschuhen guten Halt haben, denn, wie hat es der Neffe des Firmengründers Josef Wagner in einem Welt-Interview mal so schön formuliert:

„Für einen Bergsteiger ist der Schuh der wichtigste Gegenstand. Stunden-, oft tagelang muss ein Schuh seinem Träger sicheren Halt geben und ihn vor Kälte und Nässe schützen. Er kann gar nicht gut genug gearbeitet sein.“

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, außer vielleicht mal eine Zahl: Es bedarf mehr als 100 einzelner Arbeitsschritte, bevor der Hanwag-Klassiker Alaska GTX bei uns in der Schuhwand ausgestellt werden kann.

Für kommendes Jahr sind viele Aktionen in Planung: Hanwag wird 100 Jahre alt und das will gefeiert werden. Auch wenn die Marke heute zur Fenix-Gruppe gehört, wird an die alten Familientraditionen angeknüpft. Am Standort in Vierkirchen werden weiterhin Bergschuhe abschließend gefertigt, die Entwicklungsabteilung hat hier ihren Platz, genauso wie der Service. Heißt: Hier werden alle Designschritte eines neuen Modells durchlaufen, hier werden die Leisten und der Zuschnitt gemacht, das Leder geprüft. Die Hanwag-Leisten von heute sind übrigens aus einem Kunststoff gefertigt. Holz als Material arbeitet noch lange nach und verändert sich im Verlauf und damit läuft man Gefahr, dass sich auch die Leistenform leicht verändert, die ja wiederum die Grundlage für einen präzisen Schuhaufbau ist. Deshalb hat man sich für die Kunststoff-Leisten entschieden.

Wir konnten auch mal kurz einen Blick über die Schultern der Designer werfen. Zum Zeitpunkt des Besuches stand der Frühling 2020 noch in den Startlöchern, doch gearbeitet wird bereits an den Modellen für den Sommer 21, da ist man bei der Neuentwicklung von Low-cut-Modellen schon ziemlich weit vorangekommen. Weitere Ideen schmoren bereits in den Köpfen der Designer. Geschliffen wird nicht nur am Aussehen der Schuhe – wobei auch genau beobachtet wird, was die Konkurrenz macht – sondern auch am Tragekomfort und der Funktionalität der Schuhe. Es gilt, Schuhe zu entwickeln, die eine gute Passform haben, warm sind, stützend, wasserfest, atmungsaktiv, beweglich – und die auch noch gut aussehen. Sonst kauft sie nämlich niemand – das Auge wandert bekanntermaßen mit.

Das Werk platzt aus allen Nähten, doch mehr Platz wird Hanwag aktuell in Vierkirchen nicht bekommen. Deswegen werden andere Arbeiten nach Ungarn und Kroatien ausgelagert. Mittlerweile erleichtern auch speziell angefertigte Nähmaschinen, Schleif-, Press- und Fräseinrichtungen die Arbeit. Doch egal, aus welchem Werk am Ende die Schuhe kommen: Sie sind auf jede Fall Made in Europa und sie folgen defintiv den 4 Säulen bei Hanwag: Qualität, Passform, Funktion, Handwerk.

„Keine unserer Häute ist jemals geschwommen“ – mit dem Satz beginnt der Rundgang durch die Werkhallen. Das Leder für die Bergschuhe von Hanwag kommt aus Süddeutschland, Österreich oder der Schweiz, die Tiere wachsen in einer gemischten Haltung auf: Im Sommer geht’s auf die Alm, im Winter bleiben die Tiere im Stall. Würden, so kam als Quintessenz heraus, die Rinder ganzjährig im Stall gehalten werden, dann bekäme man am Ende nur sehr glattes, weiches, sehr dehnfähiges, aber eben nicht strapazierfähiges Leder, was somit nicht gut genug für Wander- und Bergschuhe ist. Mit Stefan haben wir uns lange über Nubuk als untere Lederschicht vs Glattleder sowie über die unterschiedlichen Qualitätszonen der Tierhaut unterhalten. Für viele uns war neu, dass die Oberfläche der Rinderhaut an unterschiedlichen Stellen von Natur aus unterschiedlich rau ist. Das haben wir uns genau angesehen, um zu verstehen, warum nicht alle Bereiche der Haut an allen Schuhteilen gleichermaßen verarbeitet werden soll(t)en. Dabei war auch zu hören, dass Zuschneider wohl mal ein dreijähriger Lehrberuf war, der heute, weil viele Schuhe aus Fernost kommen, mehr oder weniger bei uns ausgestorben ist.

Und ja, das Yakleder ist, als Ausnahme, wenn nicht geschwommen, dann wahrscheinlich nach Europa geflogen 😁 Die Kollektion der Yakleder-Modelle bei Hanwag ist klein aber fein und wird wohl auch nicht größer werden. Denn die Yaks werden von ihren Besitzern nur dann geschlachtet, wenn die Tiere (oder ein Teil der Herde) nicht über den Winter gebracht werden kann. Das Fleisch wird vor Ort im Himalaya verarbeitet, nur die Haut kommt nach Europa, in dem Fall exklusiv zu Hanwag. Das Besondere am Yakleder ist, dass man es nicht spalten kann. Im Rückenbereich ist die Haut maximal 5 mm, im Bauchbereich nur noch 1- 2 mm dick. Die Haut wird demnach komplett verarbeitet und die Schuhe sind dank der individuellen Narbenstruktur immer Einzelstücke.

Leder ist nicht gleich Leder, das haben wir vor Augen geführt bekommen und auch haptisch durchaus spüren können. Und hochwertiges Leder hält, entsprechend gepflegt, fast ein Leben lang. Bei Hanwag werden von Nubukleder und Spaltleder, über Futterleder sowie chromfrei gegerbtes Leder bis hin zu Terracare Zero® verschiedene Lederarten verarbeitet. Vom Yak-Leder, das aus der tibetischen Lhasa Leather Factory kommt, abgesehen, ist die komplette Lieferkette für das Leder innerhalb Europas zu finden. Mehr und mehr werden auch bei Hanwag hochwertiges Bio-Leder und hochwertiges Terracare Zero®-Leder verarbeitet. Bio-Leder kommt von Tieren aus zertifiziert biologischer Haltung (ganzjährig im Freien, kein Kraftfutter …), während in der deutschen Gerberei Heinen für das Terracare Zero® die Haut nach strengsten ökologischen Vorgaben verarbeitet und der gesamte CO2-Ausstoß kompensiert wird.

Heute werden laut Aussagen bei Hanwag über 90 % aller Leder auf dieser Welt chromgegerbt. Dafür sprechen im Ergebnis des Prozesses eine hohe Wasser- und Temperaturbeständigkeit, das besseres Feuchtigkeitsmanagement und die wesentlich höheren Abriebswerte des Leders. Doch die Nachfrage nach chromfrei gegerbtem Leder steigt und das nicht nur von Menschen, die Allergien haben. Der Gerbprozess erfolgt ohne Zugabe von Chromsalzen und das Leder ist besonders hautfreundlich. Vergessen wird dabei gern, dass deutlich mehr Wasser für diesen Gerbprozess benötigt wird und dass über die Jahre hinweg das chromfrei gegerbte Leder leichter brüchig wird bei deutlich schlechteren Abriebswerten. Das Leder, d. h. der Schuh, ist schneller durchgetragen. Hanwag hat natürlich auch chromfrei gegerbte Schuhe im Sortiment, doch noch überwiegen aufgrund der oben genannten positiven Eigenschaften die Modelle mit chromgegerbtem Leder.

Ob sich alle tapire mit der Aussage, dass Leder immer nur ein „Abfallprodukt“ aus der Tierhaltung ist und kein Tier nur wegen des Leders gezüchtet und geschlachtet wird, anfreunden können, bezweifle ich. Zumindest ihre Gesichter sprachen nach einer langen Diskussion zu Leder oder veganen Schuhen Bände. Die Materialien für vegane Schuhe, und dazu steht Hanwag, bieten (noch) nicht die Stabilität und Robustheit wie ein echter Lederschuh und gerade im Bergschuhbereich wollen sie keine Kompromisse eingehen. Bei all dem Nachhaken und Erklärungsansätzen wurde deutlich, dass uns mit Stefan jemand gegenüberstand, für den die Frage nach lederfreien Schuhen nicht existent ist. Leder ist, nicht nur für ihn, das beste Material im Schuhhandwerk, weil es langlebig und robust ist. Man setzt sich dafür ein, dass es den Tieren gut geht, doch auf Leder in der Produktion zu verzichten? Nein.

Großes Thema war natürlich auch die Hydrolyse. Wer jetzt gerade nicht weiß, wovon die Rede ist: Immer wieder bekommen wir im tapir Schuhe vorgelegt, bei denen einfach so die Sohle abgefallen ist, obwohl der Schuh vielleicht noch gar nicht so viel getragen worden ist. Den Kunden ärgert es verständlicherweise, denn die Profile der Laufsohlen sehen dann immer noch gut aus, nur eben Mist, dass die Laufsohle keine Verbindung mehr zum Schuh hat. Die Erklärung von Chris (Hanwag) in Kurzform:

Früher hat man für die Herstellung von Wanderschuhen ganz andere Materialien hergenommen. Materialien wie PVC, Gummi oder Vollgummi wird man heute kaum noch finden. Die Vorteile waren, dass es keine Hydrolyse gab bzw. die Hydrolyse wesentlich später eingesetzt hat. Die Nachteile sprechen aber eine ganz deutliche Sprache. Zum einen beim Thema Nachhaltigkeit, da viele der früher verarbeiteten Materialien heute als kritisch eingestuft werden. Zum anderen beim Gewicht – eine Vollgummi-Sohle ist einfach wahnsinnig schwer. Weitere Faktoren sind eine schlechte Dämpfungsstabilität und oftmals musste die Sohle nach einem Tag in den Schuhen erst mal über eine längere Zeit ruhig gelagert werden, damit sie ihre Dämpfungseigenschaften wieder erhalten hat.

Ganz anders hat es aber ausgeschaut, als Zwischensohlen aus Polyurethan auf den Markt gekommen sind. Hier haben plötzlich die Vorteile überwogen. PU hat ein hervorragendes Regenerierungsverhalten, die Dämpfung ist großartig (was vor allem beim Trekken mit viel Gepäck sehr wichtig ist) und der Effekt auf unsere Knochen und den Skelettaufbau ist echt wesentlich geringer als bei den alten Zwischensohlen. Das Wandern/Trekken ist ergo wesentlich komfortabler und gesünder geworden. Als sehr positiven Nebeneffekt stellt PU keine Belastung für die Umwelt dar und zersetzt sich komplett. Negativ ist natürlich die Anfälligkeit für Hydrolyse.

Und mit der Erinnerung ist es so eine Sache: Bei Hanwag geht man davon aus, dass sich viele ältere Kunden nur noch daran erinnern, dass die Sohlen auf immer und ewig an den Schuh geblieben sind, aber nicht daran, wie schlecht die Dämpfung damals war, wie unfassbar schwer die Schuhe waren, wie lange die Schuhe eingelaufen werden mussten und wie sehr die Sohlen nach einer Tageswanderung gebrannt haben …

So, die Erklärung ist dann doch etwas ausführlicher geworden: Leider kann man den chemischen Prozess nicht komplett verhindern, bei dem Wasser eine chemische Verbindung spaltet, in unserem Fall verflüchtigen sich Weichmacher im PU in der Zwischensohle. Ein ganz normaler Alterungsprozess, den man etwas hinauszögern kann, indem man die Schuhe trocken und kühl sowie dunkel lagert, sie von Hitze fernhält und vor allem regelmäßig nutzt (- das ist übrigens wieder genauso wie bei einer langen Lagerung von Autoreifen)! Wenn die ersten Risse auftreten und das Profil noch in Ordnung ist, sollte man trotzdem über eine Neubesohlung nachdenken, damit man auf Tour nicht negativ überrascht wird.

Natürlich haben wir es uns nicht nehmen lassen, im Servicebereich vorbeizuschauen. Die Paket-Annahme für eingeschickte Schuhe ist relativ klein und übersichtlich. Jedes Paar Schuh wird sich in Ruhe angeschaut. Zum Service gehört eine Zentrifuge, in der die Wasserdurchlässigkeit von GORE-Tex-Schuhen getestet werden kann, sollte es doch einmal zu Beschwerden von Kunden kommen. Doch das Gros der Schuhe braucht ohnehin auch „nur“ eine neue Sohle. Was für die Qualität von Hanwag-Schuhen spricht. Und was heißt hier eigentlich „nur eine neue Sohle“? Wenn es denn so einfach wäre?!

Wir haben also ganz genau hingesehen bei den Neubesohlungen. Sohlen sind ja bekanntermaßen das Herzstück eines jeden Schuhs. In viel Handarbeit wird hier die alte Sohle komplett abgetragen und im Anschluss, wie bei einem neuen Schuh, wieder in ihren Bestandteilen aufgebaut. Dazu wird der Schuh über den Originalleisten gezogen. Alles zusammen sind das so viele kleine Arbeitsschritte – gemessen am Preis ist dieser Service gut für’s Marken-Image, also für die Kundenbindung und für die grüne Seele. Verdienen wird keiner etwas daran. Am Ende freut es den Besitzer, wenn er seine eingelaufenen Schuhe neubesohlt weitertragen kann und im Hinblick auf den ökologischen Fußabdruck kann es auch nichts Besseres als einen langlebigen Schuh geben, der über viele Jahre hinweg getragen wird. Kilometer für Kilometer …

Und jetzt! Ende des Rundgangs: Wenn ihr noch Fragen habt, kommt vorbei. Dann sehen wir uns an unserer neuen Schuhwand und können weiterreden! (Natürlich könnt ihr uns auch schreiben …)

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